27.11.2023

Neurologische Forschung entwickelt sich rasant

© sturti/iStock

Für neurologische Erkrankungen eröffnen sich durch die Forschung immer neue Therapiemöglichkeiten. Wir zeigen Beispiele, was sich in den letzten Jahren Wichtiges für Betroffene entwickelt hat.

Rückblick 2023

Migräne: Eine neue Substanzklasse geht an den Start

Für die spezielle Akutbehandlung der Migräne-Kopfschmerzen wurden bislang Medikamente aus der Substanzklasse der „Triptane“ erfolgreich eingesetzt. Nicht geeignet waren diese Medikamente, wenn Gefäßerkrankungen zum Beispiel der Herzkranzgefäße bestanden. Nun wurde der erste Vertreter der Substanzklasse der „Ditane“ in Deutschland zugelassen. Das Medikament ist für all jene geeignet, bei denen die Triptane nicht wirken oder nicht einsetzbar sind. Auch Präparate einer anderen neuen Substanzklasse, der „Gepante“, stehen in den Startlöchern.

Alzheimer-Krankheit: Ursächlich wirksame Medikamente in Sicht

Bisher gibt es bei der Alzheimer-Erkrankung nur Medikamente, die die Folgen der Erkrankung mildern. Jetzt konnten mehrere Substanzen in Studien positiv zeigen, dass Alzheimer auch an einer der Wurzeln angegangen werden kann. Einer der Hauptursachen für die Krankheit sind unterschiedliche Eiweißablagerungen und -verklumpungen (Beta-Amyloid-Plaques und Tau-Fibrillen), die sich im Gehirn festsetzen und dadurch zum geistigen Abbau führen. Durch speziell auf sie gerichtete Antikörper können diese Ablagerungen attackiert und aufgelöst werden.

Die derzeit größten Fortschritte sind bei Studien zu verzeichnen, die das Beta-Amyloid ins Visier nehmen. Eine der Studien konnte zeigen, dass es nicht nur gelingt, diese Eiweißklumpen aus dem Gehirn „auszuwaschen“ sondern auch bei frühem Einsatz das Voranschreiten der kognitiven Störung zu verlangsamen. Allerdings zeigte sich auch, dass die Attacke auf die Eiweißklumpen zu einer vermehrten Wasseransammlung, Blutungen und Entzündungen im Gehirn führen kann. In jedem Fall aber ist die Forschung einen großen und wichtigen Schritt weitergekommen.

Vielleicht ist es wie bei der Entwicklung der Medikamente gegen AIDS: Die ersten Arzneien zeigten nur eine begrenzte Wirkung, durch das Hinzukommen immer neuer Angriffsstrategien ist die HIV-Infektion heute meistens über viele Jahre in den Griff zu bekommen. Und so spricht einiges dafür, dass die Tür zur Alzheimer-Therapie jetzt aufgestoßen ist.

Neue Antikörpertherapien gegen MS und andere neurologische Autoimmunerkrankungen

2022 und 2023 wurden weitere Medikamente gegen neurologische Autoimmunerkrankungen erforscht und zugelassen. Bei diesen Erkrankungen kommt es zu einer Aktivierung der eigenen Körperabwehr, die anstelle „äußerer Feinde“, wie Bakterien oder Viren, fälschlicherweise eigene Zellen angreift – speziell Zellen des Nervensystems. Typische Vertreter sind die Multiple Sklerose, die Myasthenie oder Rückenmarksentzündungen. Die neuen Medikamente sind ihrerseits Antikörper und attackieren die anderen fehlgeleiteten Antikörper. Es kommt zu einem deutlichen Rückgang der schädlichen Entzündungsaktivität. Dazu sind 2023 eindrucksvolle Studien erschienen.

Parkinson-Erkrankung: Der Darm spielt eine wichtige Rolle

Neue Studien konnten bisherige Befunde erhärten, dass der Darm und das dort vorhandene Mikrobiom – eine etwa 1,5 Kilogramm schwere Masse an Bakterien und Viren für die Verdauung – eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Parkinson-Erkrankung spielt. Im Darm beispielsweise beginnt die fehlerhafte Faltung des Eiweißstoffs „Synuklein“, der dann weiter zum Gehirn transportiert wird und dort Nervenzellen zerstört. Erste Studien befassen sich nun damit, wie sich das Mikrobiom beeinflussen lässt, um Parkinson zu bessern oder sogar zu verhindern.

Parkinson-Erkrankung: Effekte des fokussierten Ultraschalls halten über 3 Jahre an

Wenn die Medikamente bei der Parkinson-Erkrankung nach Jahren nicht mehr gut wirken, kann eine „Tiefe Hirnstimulation“ die Beschwerden verbessern. Dazu werden dauerhaft Elektroden ins Gehirn gelegt, um ein Störfeuer gegen die Fehlerregungen in bestimmten Bewegungszentren des Gehirns zu produzieren. Eine andere aktuell erforschte Methode ist die kernspintomographisch gesteuerte Ultraschallbehandlung, bei der die relevanten Regionen von außen gezielt millimetergenau verödet werden. Der Vorteil im Vergleich zur Stimulation: Man muss nicht operativ den Schädel öffnen. Nachteilig könnte sein, dass man anders als bei der Stimulation Gewebe zerstört. Jetzt wurde immerhin nachgewiesen, dass die meisten Effekte der Ultraschallbehandlung – eine Verbesserung der Motorik um etwa 50 Prozent – auch über 3 Jahre später noch anhalten. Also: mehr als ein Strohfeuer. Diese Therapie wird in Deutschland in den Unikliniken Bonn und Kiel weiter erforscht.

Amyotrophe Lateralsklerose: Krankheitsmechanismen besser verstehen

Noch ist die Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), die mit einem zunehmenden Muskelschwund einhergeht, nicht an den Ursachen behandelbar. In den letzten Monaten ist es jedoch gelungen, Einzelheiten der Krankheitsmechanismen aufzuklären, die sich als Basis für eine ursächliche Therapie anbieten. ALS-Forschende sind optimistisch, dass auch hier weitere Fortschritte zu erzielen sind. Das ist in einem ersten Schritt bei einer anderen neurologisch-komplexen Erkrankung gelungen: Für die bisher unheilbare Friedreich-Ataxie wurde in den USA das Medikament Omaveloxolon zugelassen.

Schlaganfall: Erweiterte Anwendung der Katheter-Eingriffe

Verstopfungen durch Gerinnsel in den großen Hirngefäßen führen zu schweren Schlaganfällen. Mit einem Katheter-Eingriff können die Gerinnsel schnell entfernt werden. Neue Studien haben gezeigt, dass dieses Verfahren – anders als bisher angenommen – selbst bei großen Schlaganfällen und bis zu 24 Stunden effektiv ist. Dadurch können bei mehr Betroffenen als bisher schwerere Behinderungen vermieden oder wenigstens vermindert werden.

Forschung unterstützen

Möchten Sie die dynamische Forschung in der Neurologie unterstützen? Die Deutsche Hirnstiftung fördert Forschungsprojekte aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden. Machen Sie mit dabei!

Mehr erfahren

Rückblick 2022

Schlaganfall: Katheter-Eingriffe weiter verbreitet

Verstopfungen durch Gerinnsel in den großen Hirngefäßen führen zu schweren Schlaganfällen. Durch die Weiterentwicklung und flächendeckende Verbreitung der Katheter-Eingriffe (Thrombektomie) in Deutschland konnten 2021 etwa 4.000 Betroffene vor schwerer Behinderung durch Lähmungen und Sprachstörungen bewahrt werden.

Multiple Sklerose: sechs neue Medikamente

2021 wurden innerhalb eines Jahres allein sechs neue Medikamente gegen die Multiple Sklerose (MS) in Deutschland zugelassen. Auch neue Substanzen, die die angegriffenen Umhüllungen der Nervenbahnen (Myelinschicht) bei MS wieder heilen, tauchen bereits am Horizont der Forschung auf.

Multiple Sklerose: Vorhersage verbessert

Möglichkeiten zur Vorhersage individueller Krankheitsverläufe bei der Multiplen Sklerose (MS) eröffnet heute die Bestimmung von bestimmten Eiweißstoffen im Blut (zum Beispiel Neurofilamente). Damit können zielgerichtet unterschiedlich aktive Medikamente bei den Betroffenen eingesetzt werden. Diese verändern die fehlerhafte „Überreaktion“ des Immunsystems, die der MS zugrunde liegt.

Parkinson-Erkrankung: Beweglichkeit verbessern

Regelmäßige körperliche Aktivität verlangsamt das „Einrosten“ der Beweglichkeit bei Parkinson und lässt das Gleichgewicht länger gut funktionieren. Für kurzfristige Bewegungskrisen gibt es eine neue Möglichkeit, den Wirkstoff Levodopa schnellwirkend mit einem Inhalator zu verabreichen.


Haben Sie neurologische Fragen? Wir beraten Betroffene kostenfrei online und am Telefon. Mitglieder der Deutschen Hirnstiftung werden bevorzugt beraten. Bitte wenden Sie sich dazu an: info@hirnstiftung.org oder 030 531 437 936 (Mo-Fr, 10-14 Uhr).

Nutzen und fördern Sie unsere kostenfreie Beratung!

Ihre Spende oder Mitgliedschaft hilft uns helfen.

Weitere Artikel zu Aktuelles Startseite