03.01.2022

Spastik richtig behandeln

Nach einer Schädigung am Gehirn oder Rückenmark leiden Betroffene mitunter an Bewegungsstörungen, ausgelöst von einer erhöhten Grundspannung in bestimmten Muskeln. Eine solche „Spastik“ kann sehr einschränken – doch es gibt viele Behandlungsmöglichkeiten!

Unser Artikel im Überblick:

Wie zeigt sich eine Spastik und wie wirkt sie sich im Alltag aus?

Bei einer Spastik sind Gelenke oder Körperabschnitte an den Muskeln steifer als normal. Die Bewegungen sind dadurch gestört – und je schneller Betroffene ein Gelenk bewegen, desto steifer wird es (spastische Tonuserhöhung). Für eine Spastik nach Schlaganfall gibt es Zahlen, wann und wie das Symptom auftritt [1]: Bis 3 Monate nach dem Schlaganfall ist es bei 27 Prozent aller Schlaganfall-Betroffenen der Fall. Mehr als drei Monate danach sind es 43 Prozent.

Zum Bild einer Spastik gehören auch ungewollte Muskelbewegungen, wie etwa:

  • rasche unrhythmische Bewegungen (Spasmen)
  • rhythmische Bewegungen (Klonus)
  • ungewollte verkrampfte Haltungen (spastische Dystonie)
  • ungewollte langsame Mitbewegungen (spastische Synergien)

Oft kommen bei einer Spastik Schmerzen an betroffenen Muskeln oder Gelenken hinzu. Auch Lähmungen und einer vorzeitige Erschöpfbarkeit der Muskeln können auftreten. Typische Komplikationen sind zunehmende Verkürzungen von Muskeln und Weichteilen bis hin zu schweren dauerhaften Bewegungs- und Funktionseinschränkungen von Gelenken (Kontrakturen) und erhebliche Hautschädigungen.

Eine bestehende Spastik kann sich durch Bewegungseinschränkung, Schmerzen, emotionale Anspannung, Entzündungen/Infekte, Stuhl- oder Harndrang, Hautschädigungen, Thrombosen oder Knochenbrüche verstärken. Solche Faktoren sollten beseitigt bzw. behandelt werden, bevor man eine spezielle medikamentöse Behandlung einleitet (siehe unten).

Notwendige Untersuchungen bei einer Spastik

Neben der körperlichen Untersuchung gibt es spezielle Diagnoseverfahren, um eine Spastik festzustellen. Das sind etwa eine Messung der Nervenleitfähigkeit, Computertomografie, Kernspintomografie, Blutwerte und gegebenenfalls Nervenwasseruntersuchung.

Auch auftreten kann Spastik bei selteneren Erkrankungen (zum Beispiel der hereditären spastischen Paraparese, HSP). Hilfreiche Hinweise können hier im Einzelfall noch genetische Untersuchungen geben. Bedenken muss man bei der Untersuchung zudem Erkrankungen mit langsam zunehmendem Nervenzelluntergang wie die primäre Lateralsklerose oder auch Vergiftungen.

Was sind die Ursachen einer Spastik und ihren Auswirkungen?

Spastik tritt häufig verzögert auf, wenn Gehirn- oder Rückenmarksregionen geschädigt wurden, wie bei:

Nach einer solchen Schädigung gibt es Veränderungen des Zentralnervensystems [2]. Durch diese verändern sich auch Nerven, Muskeln und Weichteile, wodurch sich die mechanischen Eigenschaften und Strukturen in betroffenen Muskeln und Extremitäten ändern (zum Beispiel die elastischen Eigenschaften). Eine Spastik wird dabei immer durch mehrere Faktoren verursacht. Eine alleinige Ursache für sie gibt es nicht.

Risikofaktoren

Nach einem Schlaganfall bekommen Menschen häufiger Spastik, wenn sie stärkere Lähmungen und Gefühlsstörungen haben sowie deutlich in der Alltagsbewältigung eingeschränkt sind [3]. Zudem ist es wahrscheinlicher eine Spastik zu bekommen, wenn der Schlaganfall bestimmte Hirnareale geschädigt hat [4].

Helfen Sie, unser Angebot kostenfrei zu halten!

Bitte spenden Sie oder werden Sie Mitglied – mit bevorzugter Beratung.

Welche Therapiemöglichkeiten gibt es bei Spastik?

Für die Therapie ist wichtig, wie die Spastik über den Körper verteilt ist. Hier gibt es unterschiedliche Formen:

  • eine fokale Spastik an ein oder zwei eng benachbarten Bewegungssegmenten (z. B. Handgelenk, Fuß, Zehen)
  • eine segmentale Spastik einer Extremität mit mehreren Bewegungssegmenten (z. B. Spitzfuß mit spastischer Knie- und Hüftbeugehaltung)
  • beide Arme oder Beine (Paraspastik)
  • beide Arme und beide Beine (Tetraspastik)

Behandlung einer Spastik ohne Medikamente

Für die Behandlung gibt es Therapien mit und ohne Medikamente. Zu den nicht-medikamentösen Behandlungen gehören:

  • motorische Übungen ohne Geräteeinsatz, Dehnungen betroffener Muskeln und Gelenke
  • gerätegestützte Therapie inklusive Lauf- und Bewegungsrobotern, mit deren Hilfe Arme und Beine mobilisiert werden (Beispiele), sowie Laufbandtherapie
  • Schienen, Verbände und Splints (Luftschienen oder Manschetten zur Dehnung und Lagerung)
  • physikalische Maßnahmen wie Kälte/Wärme, Massagen, Stoßwellentherapie und Elektrostimulation

Günstige Effekte auf Spastik haben systematisches Arm-Basis-Training [5], häufige Wiederholungen und die Kombination mit muskulärer Elektrostimulation [6]. Hier ist als Verfahren die sogenannte Bewegungsinduktionstherapie zu nennen.

Besonders wichtig ist die passive Muskelstreckung zusätzlich zur ausgewählten Standardtherapie [7]. Gerätegestützte Kombinationstherapien mit Elektrostimulation können einen spastisch erhöhten Muskeltonus bei gleichzeitiger Besserung der motorischen Funktion sogar verhindern [8].

Für die Therapie von Standsicherheit, Gang, Treppensteigen oder der Arm-Hand-Funktion sieht man vielversprechende Verbesserungen bei einer Spastik durch den Einsatz von Robotern [9]. Sie ermöglichen annähernd natürliche Bewegungsabläufe der Extremitäten in hoher Wiederholungszahl.

Eine Lähmung ausgleichen und günstige Effekte auf die Muskelspannung und Muskellänge haben Schienen, Splints, Verbände (Casts) und Orthesen. So werden dauerhafte Bewegungs- und Funktionseinschränkungen von Gelenken (Kontrakturen) vermieden.

Für die Beine ist das Aufrichten der Betroffenen die beste Mobilisationsform. Durch das Anlegen von Casts kann schrittweise ein eingeschränkter Bewegungsumfang wieder ausgedehnt werden. Hier ist die Kombination mit einer lokalen Botulinumtoxin-Behandlung sinnvoll und empfehlenswert (siehe unten).

Elektrostimulation aktiviert über angeklebte Elektroden auf der Haut Nerven und Muskelfasern mit kleinen Strömen (transkutane elektrische Nervenstimulation, TENS). Hier gibt es positive Effekte auf Spastik und den Bewegungsumfang (ROM) [10]. Auch die funktionelle Elektrostimulation (FES) für Bewegungen, die vom Patienten ganz oder teilweise selbst ausgeführt werden (z.B. Greifen und Hantieren, Gehen), kann neben der Verbesserung motorischer Funktionen einen Spastik-mindernden Effekt aufweisen. Günstige Auswirkungen auf die Spastik wurden zudem mittels Oberflächenelektrostimulation des Rückenmarks bzw. der Nervenwurzeln oder durch Elektroakupunktur beschrieben [11].

Repetitive Magnetstimulation und extrakorporale Stoßwellentherapie

Eine spastische Tonuserhöhung lässt sich mit gezielten Magnetfeldreizen zur Stimulation ausgewählter Nerven, Nervenwurzeln oder Hirnarealen behandeln (periphere repetitive Magnetstimulation, prMS; repetitive transkranielle Magnetstimulation, rTMS). Stoßwellentherapie kann über Wochen anhaltend einen spastisch erhöhten Muskeltonus mindern mit einer begleitenden Erweiterung des Bewegungsumfangs (extrakorporale Stoßwellentherapie, ESTW) [12]. Eine begrenzte Datenlage erlaubt jedoch für diese Verfahren noch keine eindeutige Empfehlung für den klinischen Routineeinsatz.

Behandlung bei Querschnittlähmung

Bei Menschen mit Querschnittlähmung sind die Behandlungsschwerpunkte und die erreichbaren Behandlungsziele von der Höhe der Rückenmarksschädigung und dem Ausmaß der Lähmung abhängig. Ein erhöhter Muskeltonus in den Beinen kann bei Lähmung beider Beine sogar dazu führen, dazu dass Betroffene trotzdem laufen können, wenn auch sehr unsicher. Problematisch sind jedoch starke spastische Tonuserhöhungen, einschießende Streck- oder Beugespasmen, starke Muskelzuckungen (Spastik mit unwillkürlichen rhythmischen Muskelzuckungen) und unerwünschte Mitbewegungen nicht aktivierter Muskelgruppen. Regelmäßiges Durchbewegen und geräteunterstützte Bewegungen helfen, diese störenden Phänomene einer Schädigung von Hirn/Rückenmark und speziell den spastischen Muskeltonus zu reduzieren. Training mit Ganzkörpervibration über einige Tage [13] und Roboter-gestützte Gangtherapie mittels Exoskeletts können eine positive Auswirkung auf die spastische Tonuserhöhung in den Beinen haben [14].

Behandlung einer Spastik mit Medikamenten

Für die Auswahl einer medikamentösen Behandlung ist entscheidend, wo die Spastik am Körper vorkommt und ob sich eine zugrundeliegende Schädigung im Rückenmark oder im Gehirn befindet. Vor diesem Hintergrund müssen Nutzen und Nebenwirkungen, Akzeptanz und Umsetzbarkeit einer Behandlung gründlich abgewogen werden. Grundsätzlich gilt, dass Erkrankte mit Hirnschädigungen im Gegensatz zu Betroffenen mit reinen Rückenmarksverletzungen ein höheres Risiko für Nebenwirkungen im zentralen Nervensystem aufweisen (s.u.).

Tablette oder Spray

Mit Tabletten oder Spray (orale Therapie) werden vermehrte Muskelaktivität bei Spastik behandelt behandelt. Es stehen Substanzen mit unterschiedlichen Wirkmechanismen und unterschiedlichen zugelassenen Einsatzgebieten zur Verfügung.

Patienten mit einer Spastik beider Beine (Paraspastik) und nicht mobile Patienten mit generalisierter spastischer Tonuserhöhung profitieren in der Regel von einer oralen Therapie. Auf eine Spastik mit deutlichen Lähmungen ist eine positive Wirkung begrenzt oder sogar kontraproduktiv, weil die Lähmung durch diese Medikamente prinzipiell verstärkt wird.

  • Die in Deutschland zugelassenen und am häufigsten eingesetzten oralen antispastischen Medikamente sind Baclofen und Tizanidin.
  • Trotz fehlender Zulassung werden auch Benzodiazepine eingesetzt, eine Substanzgruppe, die neben der Angstlösung auch eine Entspannung der Muskulatur bewirkt.
  • Dantrolen bewirkt Muskelentspannung durch Hemmung der Freisetzung von Kalziumionen im Muskel. Dantrolen ist zugelassen für „spastische Syndrome mit krankhaft gesteigerter Muskelspannung unterschiedlicher Ursache“.
  • Tolperison hat in Deutschland nur noch die Zulassung für die Behandlung von Spastik nach Schlaganfall.
  • Sativex® ist ein Spray für die Mundhöhle und ausschließlich für die bei Multipler Sklerose auftretende spastische Tonuserhöhung zugelassen. Es ist besonders wirksam gegen schmerzhafte Spasmen [15] (Tabelle 1).

Tabelle 1: Orale antispastische Medikation (Die Dosierungen sind den Packungsbeilagen zu entnehmen oder mit dem behandelnden Arzt zu besprechen)

Wirkstoff Darreichungsform Dosierung
Baclofen 5, 10 und 25 mg bis 100 mg/Tag
Tizanidin 2, 4 und 6 mg bis 36 mg/Tag
Tolperison 50 mg, 150 mg bis 450 mg/Tag
Dantrolen 25 mg, 50 mg bis 200 mg/Tag
Clonazepam 0,5 mg, 2 mg bis 6 mg/Tag
Tetrahydro-Cannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) 2,7 mg Delta 9-THC, 2,5 mg CBD und 40 mg Alkohol in einem Sprühstoß (0,1 ml Spray) bis 12 Sprühstoße/Tag

Nebenwirkungen

Spastik-Medikamente, die im Zentralnervensystem wirken, führen dosisabhängig relativ häufig zu Müdigkeit, Antriebsminderung oder einer störenden Abnahme der Muskelkraft. Daher sollte die Erhöhung der Dosis vorsichtig erfolgen. Vor allem Baclofen führt zu Müdigkeit und Kraftminderung, Tizanidin zu Mundtrockenheit, Benommenheit und zu relevanten Blutdruckabfällen.

Dantrolen sollte wegen der potenziell toxischen Leberschädigung und der Verstärkung bestehender Lähmungen nur eingesetzt werden, wenn es keine bessere Alternative gibt und die Symptome es wirklich erfordern. Es wirkt nicht auf das zentrale Nervensystem, bei schwer hirngeschädigten Personen kann aber gerade das Vorteile haben.

Die Verbesserungen einer Spastik mit Tabletten und Spray sind zwar messbar, werden von Betroffenen aber nicht immer im Alltag wahrgenommen. Für Tolperison gegenüber Baclofen und für Tizanidin gegenüber Diazepam wurden jedoch auch Alltagsvorteile für Schlaganfall-Betroffene) beschrieben [16]. Gabapentin, ursprünglich als Medikament gegen epileptische Anfälle entwickelt, zeigt positive Effekte bei MS-assoziierter Spastik und Spasmen.

Tabletten und Spray sollten nur eingesetzt werden, wenn eine alltagsrelevante Spastik trotz passender nicht-medikamentöser Maßnahmen nicht ausreichend kontrolliert werden kann.

Helfen Sie, unser Angebot kostenfrei zu halten!

Bitte spenden Sie oder werden Sie Mitglied – mit bevorzugter Beratung.

Injektionen mit Botulinumtoxin bei einer Spastik

Bei fokaler Spastik (ein oder zwei eng benachbarte Bewegungssegmente sind betroffen, z. B. Handgelenk, Fuß, Zehen) hat eine Injektionsbehandlung mit Botulinumtoxin (BoNT) ein besseres Nutzen-Risiken-Verhältnis und sollte vor dem Gebrauch oraler Antispastika eingesetzt werden.

BoNT wird bei einer Überaktivität von Muskeln angewendet, also auch zur Behandlung einer Spastik. Es lässt Muskeln für eine bestimmte Zeit erschlaffen, indem es die Übertragung vom Nerv auf den Muskel für einige Wochen bis Monate blockiert. An zugelassenen BoNT-Präparaten stehen zur Behandlung der fokalen und multifokalen Spastik Botox® (OnabotulinumtoxinA), Dysport® (AbobotulinumtoxinA), Xeomin® (IncobotulinumtoxinA) und Neurobloc® zur Verfügung.

Zur Verbesserung der Injektionsgenauigkeit dienen Kontrolltechniken wie Ultraschall, direkte elektrische Messungen der Muskelaktivität (Elektromyographie) oder Elektrostimulation der zu behandelnden Muskeln.

Sowohl im Hinblick auf die Nebenwirkungen einer oralen Therapie, als auch im Hinblick auf die Wirksamkeit ist eine BoNT-Behandlung Tabletten und Spray überlegen [17-21] und mindert zudem Schmerzen, die von der Spastik herrühren [22]. Sowohl mit begleitender Physiotherapie, mCIMT (Fixieren des gesunden Arms damit der spastische Arm mehr benutzt wird), Casts und Splints, als auch mit neuromuskulärer oder funktioneller Elektrostimulation kann der Effekt von BoNT auf eine spastische Tonuserhöhung verstärkt werden [23].

Schließlich mehren sich Daten, dass sich eine Spastik nach Schlaganfall durch eine frühzeitige Injektion in reduzierter Dosis vermeiden lässt. Dazu sind aktuell Instrumente in der Entwicklung, um Schlaganfallpatienten mit einem hohen Risiko für die Entwicklung einer Spastik frühzeitig zu identifizieren und dadurch früher zu behandeln [22].

Unerwünschte Wirkungen von BoNT

Nebenwirkungen sind unter BoNT in den empfohlenen Dosisbereichen pro Muskel und Injektionssitzung selten. Es kann zu Lähmungen kommen (wenn der falsche Muskel getroffen oder zu viel BoNt gespritzt wird). Möglich sind auch Effekte wie Mundtrockenheit oder eine allgemeine Schwäche und lokalen Problemen (Bluterguss und lokale Schmerzen). Bei wiederholtem Einsatz können neutralisierende Antikörper im Blut von Betroffenen können die Wirkung von BoNT abschwächen oder aufheben. Das kommt bei etwa 6 Prozent der Patienten mit Spastik-Behandlung vor [24]. Das Risiko für das Auftreten neutralisierender Antikörper steigt mit der langjährigen Gesamtdosis und wenn das Behandlungsintervall kürzer als drei Monate ist. Daher sollten Injektionen im Abstand von mindestens drei Monaten erfolgen.

Intrathekale Baclofen-Pumpen bei einer Spastik

Zur Behandlung einer schweren Spastik kann man das Medikament Baclofen auch über ein spezielles Infusionssystem mit einer Pumpe einsetzen. Das Mittel wird dabei direkt in den Nervenwasserraum des Rückenmarks injiziert (intrathekal). Pumpe und Katheter werden chirurgisch unter die Haut platziert.

Typische und erfolgversprechende Fälle sind Betroffene mit schwerer Spastik nach Rückenmarksverletzungen oder Hirnschädigung, Menschen mit Paraspastik oder multisegmentaler Spastik sowie Hemispastik mit einschießenden Tonussteigerungen. Wichtig zu wissen ist, dass bestehende dauerhafte Bewegungs- und Funktionseinschränkung von Gelenken (Kontrakturen) durch diese Behandlung nicht beeinflusst werden können.

Patienten mit länger zurückliegendem Schlaganfall und Spastik profitieren von einer ITB im Vergleich zur Therapie mit Tabletten und Spray [25]. Auch für Querschnittgelähmte ist die gute Wirksamkeit belegt [26]. Mitunter ist eine Toleranzentwicklung unter einer ITB-Therapie zu beobachten, die eine Anpassung der Dosis nach sich ziehen kann.

Die Indikation für eine ITB sollte erst erfolgen, wenn andere Behandlungen nicht zufriedenstellend waren. Ein operativer Eingriff und die schrittweise Anpassung der Medikamentendosis können mit einem hohen Nebenwirkungsrisiko und schwerwiegenden Komplikationen verbunden sein (in rund 8 bis 10 Prozent der Fälle) [27].

Nebenwirkungen

Unerwünschte Wirkungen können Infektionen und lokale Flüssigkeitsansammlungen (Serome) beinhalten. Vereinzelt treten auch epileptische Anfälle oder Schläfrigkeit, Tonusverlust der Muskulatur, Benommenheit oder Schwindel auf.

Die Diagnose und Betreuung bei Patienten mit ITB sollte daher von einem interdisziplinären Team mit ausgewiesener Kompetenz erfolgen. Die Abklärung und Behandlung von Nebenwirkungen und Komplikationen sollte zu jeder Zeit gewährleistet sein. Vor jeder Implantierung von Pumpe und Katheter erfolgt ein Test der Wirksamkeit.

Leichtere Nebenwirkungen in der Test- und Einstellungsphase verschwinden im Verlauf meist von alleine. Schwere Nebenwirkungen und Komplikationen können im Einzelfall zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen. Im Langzeitverlauf, bei stabiler medikamentöser Einstellung und erfahrenem ITB-Behandlerteam sind Komplikationen allerdings selten [28].

Chirurgische Verfahren bei einer Spastik

Bei schwerster Spastik, die anders nicht zu behandeln sind, gibt es chirurgische Verfahren (dorsale Rhizotomie oder Eingriffe in der Eintrittszone der Hinterwurzel ins Rückenmark). Durch sie können ausgeprägte Fehlhaltungen vermieden werden und damit verbundene Pflegehemmnisse, hygienische Probleme und Komplikationen wie Kontrakturen oder Hautläsionen [29]. Kontrollierte Studien zum Einsatz dieser Verfahren bei Spastik nach Schlaganfall liegen nicht vor.

Nach Versagen der Standardtherapieverfahren und damit verbundenen Schmerzen können in weiteren chirurgischen Verfahren bestimmte Stellen eines Nerven durchtrennt werden (motorische Endäste, z.B. Nervus tibialis bei spastischem Spitzfuß, „pes equinus“) [30]. Ein Umsetzen von Muskelansätzen oder operatives Einsetzen von Sehnenplastiken fallen in diese Rubrik.


Autoren des Beitrags: Dr. med. Anatol Kivi (Oberarzt) und Prof. Dr. med. Jörg Wissel (Chefarzt), Vivantes Klinikum Berlin-Spandau, Klinik für Neurologie mit Stroke Unit, Abteilung Neurorehabilitation und Physikalische Medizin

Haben Sie neurologische Fragen? Wir beraten Betroffene kostenfrei online und am Telefon. Mitglieder der Deutschen Hirnstiftung werden bevorzugt beraten. Bitte wenden Sie sich dazu an: info@hirnstiftung.org oder 030 531 437 936 (Mo-Fr, 10-14 Uhr).

Helfen Sie, unser Angebot kostenfrei zu halten!

Bitte spenden Sie oder werden Sie Mitglied – mit bevorzugter Beratung.


Quellen:

[1] Martin A, Abogunrin S, Kurth H, Dinet J. Epidemiological, humanistic, and economic burden of illness of lower limb spasticity in adults: a systematic review. Neuropsychiatr Dis Treat 2014; 10: 111-22.

[2] Nielsen JB, Christensen MS, Farmer SF, Lorentzen J. Spastic movement disorder: should we forget hyperexcitable stretch reflexes and start talking about inappropriate prediction of sensory consequences of movement? Exp Brain Res 2020; 238(7-8): 1627-36.

[3] Wissel J, Verrier M, Simpson DM, et al. Post-stroke spasticity: predictors of early development and considerations for therapeutic intervention. PM R 2015; 7(1): 60-7.

[4] Ri S, Kivi A, Urban PP, Wolf T, Wissel J. Site and size of lesion predict post-stroke spasticity: A retrospective magnetic resonance imaging study. J Rehabil Med 2020; 52(5): jrm00065.

[5] Platz T, van Kaick S, Mehrholz J, Leidner O, Eickhof C, Pohl M. Best conventional therapy versus modular impairment-oriented training for arm paresis after stroke: a single-blind, multicenter randomized controlled trial. Neurorehabil Neural Repair 2009; 23(7): 706-16.

[6] Hesse S, Werner C, Pohl M, Mehrholz J, Puzich U, Krebs HI. Mechanical arm trainer for the treatment of the severely affected arm after a stroke: a single-blinded randomized trial in two centers. Am J Phys Med Rehabil 2008; 87(10): 779-88.

[7] Wu CL, Huang MH, Lee CL, Liu CW, Lin LJ, Chen CH. Effect on spasticity after performance of dynamic-repeated-passive ankle joint motion exercise in chronic stroke patients. Kaohsiung J Med Sci 2006; 22(12): 610-7.

[8] Hesse S, Kuhlmann H, Wilk J, Tomelleri C, Kirker SG. A new electromechanical trainer for sensorimotor rehabilitation of paralysed fingers: a case series in chronic and acute stroke patients. J Neuroeng Rehabil 2008; 5: 21.

[9] Takahashi CD, Der-Yeghiaian L, Le V, Motiwala RR, Cramer SC. Robot-based hand motor therapy after stroke. Brain 2008; 131(Pt 2): 425-37.

[10] Chen SC, Chen YL, Chen CJ, Lai CH, Chiang WH, Chen WL. Effects of surface electrical stimulation on the muscle-tendon junction of spastic gastrocnemius in stroke patients. Disabil Rehabil 2005; 27(3): 105-10.

[11] Cai Y, Zhang CS, Liu S, et al. Electroacupuncture for Poststroke Spasticity: A Systematic Review and Meta-Analysis. Arch Phys Med Rehabil 2017; 98(12): 2578-89 e4.

[12] Manganotti P, Amelio E. Long-term effect of shock wave therapy on upper limb hypertonia in patients affected by stroke. Stroke 2005; 36(9): 1967-71.

[13] Khan F, Amatya B, Bensmail D, Yelnik A. Non-pharmacological interventions for spasticity in adults: An overview of systematic reviews. Ann Phys Rehabil Med 2019; 62(4): 265-73.

[14] Miller LE, Zimmermann AK, Herbert WG. Clinical effectiveness and safety of powered exoskeleton-assisted walking in patients with spinal cord injury: systematic review with meta-analysis. Med Devices (Auckl) 2016; 9: 455-66.

[15] Wade DT, Collin C, Stott C, Duncombe P. Meta-analysis of the efficacy and safety of Sativex (nabiximols), on spasticity in people with multiple sclerosis. Mult Scler 2010; 16(6): 707-14.

[16] Stamenova P, Koytchev R, Kuhn K, et al. A randomized, double-blind, placebo-controlled study of the efficacy and safety of tolperisone in spasticity following cerebral stroke. Eur J Neurol 2005; 12(6): 453-61.

[17] Simpson DM, Gracies JM, Yablon SA, Barbano R, Brashear A, Bo NTTZDST. Botulinum neurotoxin versus tizanidine in upper limb spasticity: a placebo-controlled study. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2009; 80(4): 380-5.

[18] Kanovsky P, Slawek J, Denes Z, et al. Efficacy and safety of botulinum neurotoxin NT 201 in poststroke upper limb spasticity. Clin Neuropharmacol 2009; 32(5): 259-65.

[19] Gracies JM, Esquenazi A, Brashear A, et al. Efficacy and safety of abobotulinumtoxinA in spastic lower limb: Randomized trial and extension. Neurology 2017; 89(22): 2245-53.

[20] Rosales RL, Efendy F, Teleg ES, et al. Botulinum toxin as early intervention for spasticity after stroke or non-progressive brain lesion: A meta-analysis. J Neurol Sci 2016; 371: 6-14.

[21] Wissel J, Bensmail D, Ferreira JJ, et al. Safety and efficacy of incobotulinumtoxinA doses up to 800 U in limb spasticity: The TOWER study. Neurology 2017; 88(14): 1321-8.

[22] Wissel J, Ganapathy V, Ward AB, et al. OnabotulinumtoxinA Improves Pain in Patients With Post-Stroke Spasticity: Findings From a Randomized, Double-Blind, Placebo-Controlled Trial. J Pain Symptom Manage 2016; 52(1): 17-26.

[23] Intiso D, Santamato A, Di Rienzo F. Effect of electrical stimulation as an adjunct to botulinum toxin type A in the treatment of adult spasticity: a systematic review. Disabil Rehabil 2017; 39(21): 2123-33.

[24] Fabbri M, Leodori G, Fernandes RM, et al. Neutralizing Antibody and Botulinum Toxin Therapy: A Systematic Review and Meta-analysis. Neurotox Res 2016; 29(1): 105-17.

[25] Creamer M, Cloud G, Kossmehl P, et al. Intrathecal baclofen therapy versus conventional medical management for severe poststroke spasticity: results from a multicentre, randomised, controlled, open-label trial (SISTERS). J Neurol Neurosurg Psychiatry 2018; 89(6): 642-50.

[26] McIntyre A, Mays R, Mehta S, et al. Examining the effectiveness of intrathecal baclofen on spasticity in individuals with chronic spinal cord injury: a systematic review. J Spinal Cord Med 2014; 37(1): 11-8.

[27] Stetkarova I, Yablon SA, Kofler M, Stokic DS. Procedure- and device-related complications of intrathecal baclofen administration for management of adult muscle hypertonia: a review. Neurorehabil Neural Repair 2010; 24(7): 609-19.

[28] Borrini L, Bensmail D, Thiebaut JB, Hugeron C, Rech C, Jourdan C. Occurrence of adverse events in long-term intrathecal baclofen infusion: a 1-year follow-up study of 158 adults. Arch Phys Med Rehabil 2014; 95(6): 1032-8.

[29] Chambers HG. The surgical treatment of spasticity. Muscle Nerve Suppl 1997; 6: S121-8.

[30] Sindou M, Mertens P. Selective neurotomy of the tibial nerve for treatment of the spastic foot. Neurosurgery 1988; 23(6): 738-44.

Titelbild: wutzkoh via canva.com

Weitere Artikel zu Aktuelles Startseite