18.10.2022

Film- und Buchtipps: Zwischen Liebe und Sterbehilfe

Von Prof. Dr. Frank Erbguth, Präsident der Deutschen Hirnstiftung

Multiple Sklerose (MS) und die Liebe eines älteren Ehepaars

Film: Ein großes Versprechen. 89 Minuten. Buch: Greta Lorez; Regie: Wendla Nölle.   

Deutscher Kinostart 9. Juni 2022. DVD / Streaming demnächst zu erwarten.

Juditha (gespielt von Dagmar Manzel) ist schon lange mit Erik (Rolf Lassgård) glücklich verheiratet. Der ist als Universitäts-Professor gerade pensioniert worden, will aber noch ein bisschen Mitmischen im akademischen Betrieb. Juditha ist an MS erkrankt, die voranschreitet und die die Pläne eines aktiven gemeinsamen Lebensabends durchkreuzt. Juditha aber ist stur; sie will sich weder medizinisch noch im Haushalt helfen lassen. Mit dieser Mischung aus Verweigerung und gleichzeitig zunehmender Behinderung ist Erik überfordert und hält die zunehmende Enge im gemeinsam bewohnten Haus nicht mehr aus.

Der Film ist ein intensives Kammerspiel zweier sich Liebender, die durch die schicksalhafte MS-Erkrankung an die Grenzen geraten, was sie sich gegenseitig zumuten können. Wo hat Autonomie ihre Grenzen? Auch wenn man als Neurologe der abschreckenden Darstellung der MS-Erkrankung einige medizinische Argumente entgegenzusetzen hätte, so thematisiert der Film doch sehr berührend und nachvollziehbar die Frage des gemeinsamen Altwerdens bei einer chronischen Krankheit.

Sterbehilfe nach Schlaganfall?

Alles ist gutgegangen: Die letzte Reise meines Vaters. Von Emmanuèle Bernheim.

Buch: Hanser Berlin im Carl Hanser Verlag München 2014.
Film: Drehbuch Emmanuèle Bernheim und François Ozon; Regie François Ozon. 114 Minuten. Kinostart: 14.4.2022.

Im Alter von 88 Jahren erleidet der Kunstsammler André Bernheim, der Vater der Autorin, einen schweren Schlaganfall. Der weltmännische André war zuvor eine vitale, schillernde und charmante Persönlichkeit. Er bittet eine seiner beiden Töchter, die Schriftstellerin Emmanuèle, ihm beim Suizid in der Schweiz zu helfen. „Hilf mir, es zu beenden“, stöhnt André mühsam und packt die Hand seiner Tochter, die am Krankenbett steht.

Wie geht es einer Tochter mit einem solchen Wunsch? Sie will ihren Vater nicht verlieren, fühlt sich aber verpflichtet, seinen Wunsch zu respektieren. Wie viel Zumutung kann sie auf sich nehmen? Angesichts der zu erwartenden Regelungen zum assistierten Suizid in Deutschland berührt das Buch ein aktuell viel diskutiertes Thema. Emmanuèle Bernheim ist ein offener, intensiver, mutiger und doch intim-zärtlicher Bericht gelungen über Grundfragen des Lebens und Sterbens. Dabei gibt es auch viele „schwarzhumorige“ Momente, wenn etwa die Hindernisse geschildert werden, die angesichts der heiklen juristischen Situation entstehen, wenn man aus Frankreich zu „Suizidzwecken“ in die Schweiz ausreist.

Die Chronik dieses selbst gewünschten Todes „mit Ansage“ in Buchform hat der Erfolgsregisseur Françoin Ozon nun verfilmt. In Cannes lief der Streifen sogar im Wettbewerb. Nicht nur der Regisseur ist berühmt; auch die Schauspieler*innen sind handverlesen, wie zum Beispiel Sophie Marceau, André Dussollier, Charlotte Rampling und die deutsche Fassbinder-Schauspielerin Hanna Schygulla. Der Film bringt im wahrsten Sinn des Wortes Farbe in die Buchvorlage und setzt die Vorlage in passende und eindrucksvolle Bilder um.

Beide künstlerischen Bearbeitungen dieses heiklen Themas – das Buch und der Film – laden jeweils auf besondere Weise zum kritischen Nachdenken ein und zum Diskurs über das Spannungsfeld zwischen Hoffnung, Lebensschutz und der Autonomie, auch radikale Entscheidungen zu treffen.


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Titelbild: Filmperlen Filmverleih und Vertriebsagentur, Hanser Berlin

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