07.10.2024

„Das Gehirn ist unglaublich faszinierend“ – Stardirigentin Mallwitz und Hirnstiftungspräsident Erbguth im Gespräch

Mann hört Musik
© mediaphotos

Wie wirkt Musik auf die Hirngesundheit, wie sind Musikergehirne beschaffen und warum lohnt es sich, die Hirnstiftung zu unterstützen? Joana Mallwitz, Chefdirigentin des Konzerthausorchesters Berlin, und Prof. Dr. Frank Erbguth, Präsident der Deutschen Hirnstiftung, geben Antworten.

Joana Mallwitz ist Botschafterin der Hirnstiftung und Schirmherrin des fünften Benefizkonzerts des Deutschen Neuro-Orchesters (7. Nov., 20 Uhr, Berlin, Eintritt 20 Euro). Das Konzert ist zugunsten der Deutschen Hirnstiftung. Mallwitz: „Es ist mir ein großes Anliegen, die wertvolle Arbeit der Stiftung und ihr Bestreben, die Menschen über neurologische Erkrankungen aufzuklären und ihnen zu helfen, zu unterstützen – und was läge hier näher als dieses Konzert?“

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Joana Mallwitz
Joana Mallwitz © Simon Pauly

Frau Mallwitz, was verbindet für Sie Musik und Gehirn?

Das Gehirn ist unsere direkte Verbindung zwischen der inneren und der äußeren Welt. Musik, Harmonie, Rhythmus, Klänge und Melodien lösen bei uns sowohl Emotionen als auch Bilder und Geschichten aus – all diese inneren Landschaften und Welten entstehen im Gehirn.

Da ich beim intensiven Studium von Partituren die Musik immer wieder in meinem Kopf analysieren muss, geschieht ein Großteil meiner eigentlichen Arbeit in der Fantasie. Ich kann die Funktionen und Möglichkeiten unseres Gehirns nur bestaunen!

Herr Prof. Erbguth, Frau Mallwitz erwähnte gerade die Interaktion zwischen Musik und Gehirn. Was genau passiert im Gehirn, wenn wir Musik hören?

Wissenschaftliche Studien zeigen, dass das Hören von Musik die Aktivität unterschiedlicher Gehirnregionen beeinflusst und positive Effekte auf kognitive Funktionen, Stimmung und neurobiologische Prozesse hat. Stresshormone werden reduziert, Glückshormone wie Endorphine und Botenstoffe wie Dopamin, das uns motiviert, werden verstärkt ausgeschüttet.

„Wir werden lebensbejahender und aktiver“

Musik leistet somit einen wichtigen Beitrag zur Hirngesundheit und wird auch therapeutisch eingesetzt, beispielsweise sehr erfolgreich bei der Behandlung von Menschen mit Demenz.

Man hat gesehen, dass Musik Agitation und Unruhe, sogar auch Depressionen lindern kann. Darüber hinaus kann sie bei schwer dementen Patientinnen und Patienten Erinnerungen hervorrufen und darüber einen kommunikativen Zugang zu ihnen öffnen.

Prof. Dr. Frank Erbguth
Prof. Dr. Frank Erbguth © Agentur Adverb

Gilt das für jede Musikrichtung gleichermaßen? Wirkt Hardrock genauso wie Mozart?

Was das Emotionale angeht: ja. Wer sein Leben lang Hardrock gehört hat und viele positive Erinnerungen damit verknüpft, ist gefühlsmäßig wahrscheinlich eher über diese Art von Musik erreichbar als über Chopin.

Früher hieß es, dass vor allem die Musik von Mozart die geistigen Fähigkeiten fördern soll. Dies hat eine Studiengruppe aus Glasgow [1] vor einiger Zeit etwas entzaubert. Der sogenannte Mozart-Effekt hänge demnach weniger von der Art der Musik ab als von der Vorliebe der Rezipientinnen und Rezipienten für ein Genre.

Sprich: Jimi Hendrix stimuliert Gehirne von Rockmusikfans wahrscheinlich besser als Mozart.

Frau Mallwitz, ist das auch Ihr Eindruck „aus der Praxis“?

Ich bin überzeugt, dass Musik, die einen Menschen tief im Inneren berührt, immer auch positive Effekte im Gehirn auslöst. Das hat sicher mit persönlichen Vorlieben zu tun, aber auch mit dem, wie man aufgewachsen ist, was man erlebt hat, und woran man sich durch Klänge erinnert fühlt.

Ich glaube aber, es kann auch unglaublich bereichernd sein, sich auf Neues einzulassen, und ich erlebe immer wieder, dass Menschen sich sehr dafür begeistern lassen. Beispielsweise haben wir im Konzerthaus Berlin das Format der „Expeditionskonzerte“.

Mit Neugierde und Interesse dem Gehirn etwas Gutes tun

Wir nähern uns dabei den großen Meisterwerken der klassischen Musik aus unterschiedlichen Richtungen, horchen in Details hinein, verbinden Hintergrundgeschichten und Anekdoten mit musikalischen Entdeckungen und nehmen die Zuhörerinnen und Zuhörer mit auf diese Reise. Ich denke, mit Neugierde und Interesse an neuen Erfahrungen tun wir am Ende auch unserem Gehirn etwas Gutes.

Herr Prof. Erbguth, tun wir das? Und haben Sie dafür eine neurobiologische Erklärung?

Ja. Ganz pauschal gesagt, führen neue Erfahrungen dazu, dass sich das Gehirn weiterentwickelt. Lernen ist Hirntraining. Unser Gehirn wird dadurch nicht größer, wie Muskeln es tun, sondern leistungsfähiger. Es bildet mehr Synapsen und „Verschaltungen“ aus.

Das Gehirn hat die Fähigkeit, sich je nach Anforderung anzupassen und weiterzuentwickeln. Wir sprechen hier von neuronaler Plastizität. Diese kann durch ein solches aktives Musikhören, vor allem aber auch durch aktives Musizieren angeregt werden.

Frau spielt Klavier
© Thinkstock Images

Woher weiß man, dass das Spielen eines Musikinstruments tatsächlich die neuronale Plastizität verbessert?

Vermutet hat man das schon lange, aber letztes Jahr gab es dann auch sehr beeindruckende Studiendaten von der Universität Hannover. In der Studie [2] wurde bei über 100 gesunden älteren Erwachsenen verglichen, welche Auswirkungen das Erlernen des Klavierspielens im Vergleich zur Teilnahme an Musikhör- und Kulturunterricht auf die Plastizität des Gehirns hat.

Gemessen wurde die sogenannte funktionelle Konnektivität, das Zusammenspiel unterschiedlicher Hirnregionen, was als Maß für die Plastizität gilt. Diese Interaktion hat man mit speziellen Methoden der Magnetresonanz-Tomographie, ein sogenanntes funktionelles MRT, sichtbar gemacht.

Instrument erlernen verbessert funktionelle Konnektivität deutlich

Die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer erhielten vor, während und nach der Studie eine MRT-Untersuchung und es zeigte sich, dass das Erlernen des Instruments die funktionelle Konnektivität deutlich mehr verbesserte. Die Autorengruppe zog das Fazit, dass Klavierunterricht ein Weg für gesunde ältere Erwachsenen sein könnte, um dem altersbedingten geistigen Abbau entgegenzuwirken.

Haben Musikerinnen und Musiker dann entsprechend auch leistungsfähigere Gehirne als andere Menschen?

Die neuronale Plastizität, also die Fähigkeit des Gehirns zur Vernetzung, kann auch durch andere Aktivitäten und Lernvorgänge als Musikmachen angestoßen und gefördert werden. Deswegen würde ich per se auch nicht den Gehirnen von Nichtmusikern und Nichtmusikerinnen eine hohe Leistungsfähigkeit absprechen.

Gehirn von Berufsmusikern zeigen Unterschiede

Aber interessant ist, dass die Gehirne von Berufsmusikerinnen und Berufsmusikern sich durchaus von denen von Nichtmusikerinnen und Nichtmusikern unterscheiden. Bei ihnen sind die Bereiche, die für die Verarbeitung des Gehörten und für die Motorik zuständig sind, und der Bereich, der beide Hirnhälften verbindet, das sogenannte Corpus callosum, stärker ausgeprägt.

Die rechte Gehirnhälfte ist eher die kreative-emotionale, die linke eher die analytisch-abstrakte und Musizieren schafft hier offensichtlich eine enge Vernetzung. Möglicherweise – und jetzt ist das mehr meine Vermutung als wissenschaftlich bewiesen – könnte das erklären, warum Musiker in der Regel etwas weltoffener und empathischer durchs Leben gehen als der eine oder andere Mensch, die in der Finanzbuchhaltung tätig ist.

Und vielleicht ist dies auch ein Grund, warum sich eine Stardirigentin wie Joana Mallwitz als Botschafterin für die Deutsche Hirnstiftung engagiert.

Frau Mallwitz, ist das der Grund, warum Sie die Deutsche Hirnstiftung unterstützen?

[lacht] Das Gehirn ist für mich einfach ein unglaublich faszinierendes Phänomen. Mich beeindruckt die Arbeit der Deutschen Hirnstiftung sehr, und es ist mir wichtig, dieses Engagement zu unterstützen!

Das Interview führte Dr. Bettina Albers.

Quellen:

[1] The effects of music exposure and own genre preference on conscious and unconscious cognitive processes: a pilot ERP study
[2] Increased functional connectivity in the right dorsal auditory stream after a full year of piano training in healthy older adults


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