24.10.2022

Schlaganfall: Pille, Rauchen, Übergewicht – eine ungute Allianz

Seit Corona und der Impfkampagne sind assoziierte Schlaganfälle und Hirnvenenthrombosen viel diskutierte „Angstthemen“. Die Einnahme der „Anti-Baby-Pille“ wird hingegen nur selten emotional diskutiert, obwohl hier auch ein Schlaganfallrisiko besteht, insbesondere im ersten Jahr der Einnahme. Die Deutsche Hirnstiftung möchte Frauen, die hormonell verhüten, für Vorsorgemaßnahmen sensibilisieren.

Viele Menschen haben Angst vor einem Schlaganfall – das ist nicht unberechtigt, denn jährlich sind in Deutschland ca. 270.000 Menschen davon neu betroffen. Schlaganfälle können verschiedene Ursachen haben, meistens handelt es sich um einen akuten Verschluss einer Gehirnarterie durch ein Blutgerinnsel (Thrombus) oder eine vorbestehende Arteriosklerose. Dadurch wird das betroffene Hirnareal nicht mehr ausreichend durchblutet („ischämischer Schlaganfall“). Durch diesen Sauerstoffmangel kann es zu bleibenden Schäden (Behinderungen) kommen, wenn die Behandlung des Schlaganfalls nicht rechtzeitig beginnt („time is brain“).

Erhöhtes Risiko durch die Pille, hauptsächlich im ersten Jahr der Einnahme

Viele Schlaganfall-Risikofaktoren sind heute gut bekannt. Neben den klassischen Risikofaktoren (wie z. B. Bluthochdruck, Rauchen und Übergewicht) wird ein Faktor oftmals nur wenig berücksichtigt: die hormonelle Verhütung („Anti-Baby-Pille“). Östrogenhaltige Pillen (z. B. mit Ethinylestradiol, 20 Mikrogramm) erhöhen das Schlaganfallrisiko um das 1,7-Fache; bei einem Gehalt von 30-40 Mikrogramm Ethinylestradiol steigt das Risiko sogar bis um das 2,3-fache [2]. Wenn noch weitere Gefäßrisikofaktoren hinzukommen, erhöht sich das Risiko weiter. Glücklicherweise besteht diese relative Risikoerhöhung durch die „Pille“ auf insgesamt niedrigem Niveau: Schlaganfälle traten in einem Jahr bei 21 von 100.000 Frauen, die die Pille einnahmen, auf. Eine aktuelle Studie [3] aus Großbritannien zeigte nur, dass sich das Risiko vornehmlich auf das erste Jahr der Einnahme beschränkt. Das Risiko stieg um den Faktor 2,4 – in den Jahren danach normalisierte es sich wieder.

Rauchen, Bluthochdruck oder Übergewicht

Darüber hinaus steigt bei Frauen, die die Pille nehmen, auch das Risiko für Hirnvenenthrombosen (HVT) an, eine ansonsten eher seltene Form des Schlaganfalles. Diese „Sinusthrombosen“ wurden im Rahmen der Corona-Impfstoffe häufig diskutiert. Inzwischen gilt diese Impfnebenwirkung, die vornehmlich bei Vektorimpfstoffen auftritt, als bestätigt, sie ist aber insgesamt sehr selten. Die Vektorimpfstoffe werden jungen Frauen daher nicht mehr verabreicht.

Die Einnahme von oralen Kontrazeptiva bei zusätzlich vorliegenden Gefäßrisikofaktoren wie z. B. Rauchen, Bluthochdruck oder Übergewicht, erhöht das HVT-Risiko aber weit mehr. Eine Fall-Kontroll-Studie des „Academic Medical Center Amsterdam“ [1] mit 186 Betroffenen (davon 71,5% weiblich) und 6.134 Kontrollen ergab, dass 72,9% der von einer HVT betroffenen Frauen die Pille nahmen. Fettleibigkeit (BMI >30) alleine erhöhte das HVT-Risiko bei Frauen um den Faktor 3,5 (bei Männern dagegen nicht signifikant). Bei Frauen, die die Pille nahmen, stieg bei Übergewicht (BMI zwischen 25-29,9) das HVT-Risiko dramatisch an – fast um den Faktor 12; bei Fettleibigkeit/Adipositas (BMI >30) sogar fast um den Faktor 30.

Ein weiterer, relativ unbekannter Risikofaktor, der das Gefäßrisiko bzw. Risiko für ischämische Schlaganfälle bei oraler Kontrazeption ansteigen lässt, ist Migräne, besonders Migräne mit sogenannter Aura. In einer Metaanalyse verdoppelte sie generell das Schlaganfallrisiko [4].

Hirnstiftung rät zu Vorsorgemaßnahmen: Gewicht im Normalbereich halten, nicht rauchen und Bluthochdruck behandeln lassen

„Grundsätzlich sollten die individuellen Risiken einer oralen Kontrazeption mit dem Gynäkologen und gegebenenfalls weiteren Fachdisziplinen gut besprochen werden“, empfiehlt Prof. Frank Erbguth, Präsident der Deutschen Hirnstiftung, die bei neurologischen Fragen kostenfrei berät. „Vor allem, wenn Gefäßrisikofaktoren vorliegen, aber auch bei Hinweisen auf eine familiäre Veranlagung, z. B. Thrombosen bei Verwandten ersten Grades im Alter von unter 50 Jahren oder in der eigenen Vorgeschichte, ist große Vorsicht geboten.“

Eine Thromboseneigung kann vorab gegebenenfalls mit Laboruntersuchungen ausgeschlossen werden; bei Migräne-Verdacht sollte eine neurologische Mitbehandlung erfolgen. Ein erhöhter Blutdruck sollte ohnehin immer normalisiert werden, um Langzeitschäden an den Gefäßen und Organen (Schlaganfälle, Herzinfarkt, Nieren- oder Netzhautschäden) zu vermeiden.

„Bei sorgfältiger Abwägung und Verordnung eines geeigneten Präparates ist das Risiko der Pille gering. Dennoch kann die Kombination von Pille, Übergewicht, Rauchen und anderen Risiken schon bei sehr jungen Frauen eine gefährliche Kombination darstellen“, so Prof. Erbguth.  Der Präsident der Deutschen Hirnstiftung möchte anlässlich des Welt-Schlaganfalltags Frauen, die die Pille nehmen, dafür sensibilisieren, zusätzliche lebensstilbedingte Risiken möglichst zu reduzieren. Das heißt konkret: Sie sollten auf ihr Gewicht achten und bei Bedarf abnehmen, auf das Rauchen verzichten und bei Bedarf Gefäß schädigende Erkrankungen wie Bluthochdruck oder Diabetes auch medikamentös behandeln lassen. Besondere Vorsicht gelte im ersten Jahr der Einnahme.

Quellen:


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