16.06.2022

Migräne: Wirksame Medikamente zu selten genutzt

Bis zu 10 Millionen Menschen in Deutschland leiden an Migräne. Doch nicht alle werden gezielt behandelt. Und weniger als die Hälfte geht trotz Beschwerden überhaupt zum Arzt. Dabei gibt es wirksame Medikamente und viel, was Betroffene selbst tun können.

Melanie M. leidet seit ihrer Jugend an Migräne. Erst selten, später immer häufiger. Die 45-Jährige hat dann starke, einseitige Kopfschmerzen, ist lichtempfindlich und ihr ist übel. Bei den ersten Anzeichen versucht sie an die frische Luft zu gehen, trinkt etwas und nimmt eine Schmerztablette. Meist werden die Beschwerden aber so stark, dass sie nach Hause in ein dunkles ruhiges Zimmer muss – mitunter tagelang, bis die Migräne sich wieder gelegt hat.

Wissenschaftliche Studie zeigt Ausmaß

„Der Leidensdruck ist für Migräne-Betroffene teilweise massiv“, sagt Dr. Wolf-Oliver Krohn, Neurologe und Patientenberater der Deutschen Hirnstiftung. Nur etwa sieben Prozent aber erhalten wirksame, migränespezifische Medikamente wie die sogenannten Triptane. Das zeigte 2020 die Studie BURDEN 2020 [1]. Das Problem betrifft viele. Bis zu 15 Prozent in Deutschland haben mindestens einmal im Jahr Migräne, Frauen sind dreimal öfter betroffen als Männer [2].

Betroffene im Teufelskreis

Meist behandeln Betroffene sich selbst mit rezeptfreien, bei schwerer Migräne kaum wirksamen Präparaten. Gerade mal 40 Prozent suchen überhaupt ärztliche Hilfe, auch das zeigte die Studie. „Oft nehmen Betroffene dann zu häufig Schmerzmedikamente“, sagt Krohn. „Und das kann die Beschwerden sogar noch verstärken.“ Ein Teufelskreis beginnt.

Migräne wirksam behandeln

Das Ziel ist daher eine wirksame Behandlung mit möglichst wenig Tabletten. Wie äußert sich der Schmerz genau? Wie oft tritt er auf? Gibt es bestimmte Auslöser? Mit Fragen wie diesen grenzt man neurologisch zunächst ein, ob es sich um Migräne oder eine andere Kopfschmerzart handelt. Dann wird gezielt vorgegangen.

Akute Schmerzen lindern

Zunächst braucht es ein Medikament für die akute Kopfschmerzattacke. Bei der Migräne haben sich dafür etwa die genannten Triptane bewährt. Sie wirken bei den allermeisten Betroffenen sehr gut und sind gut verträglich. „Allein schon zu wissen, dass es eine wirksame Behandlung wie diese gibt, reduziert bei vielen die Zahl der Attacken“, weiß Neurologe Krohn aus praktischer Erfahrung.

Das richtige Medikament finden

Die Tiptane sind eine Gruppe von Wirkstoffen, die als unterschiedliche Medikamente verfügbar sind. Wenn das erste verschriebene Mittel nicht wirkt, kann man daher weitere versuchen – bis man das richtige für sich gefunden hat. „Nicht jeder Mensch spricht auf jedes Präparat an“, sagt Krohn. „Ein Wechsel lohnt sich deshalb.“

Migräne-Anfälle verringern

Als nächster Schritt folgen nicht-medikamentöse Maßnahmen, die die Häufigkeit der Migräneattacken weiter reduzieren sollen. Zu diesen wirksamen Wegen gehören regelmäßiger Ausdauersport, Entspannungstechniken wie Meditation und die individuelle Suche nach Auslösern. Das können etwa Schlafmangel oder Stressbelastung sein.

Mit Medikamenten vorbeugen

Hat man weiterhin Migräne, helfen vorbeugende Medikamente. „Sie können bereits ab drei Migräne-Tagen im Monat sinnvoll sein, wenn der Leidensdruck hoch ist“, erklärt Krohn. Die häufigsten sind Betablocker oder Substanzen, die auch zur Behandlung von Epilepsie oder Depressionen eingesetzt werden (etwa Lamotrigin).

Neben diesen bewährten Wirkstoffen gibt es mittlerweile für die Migränevorbeugung gezielt entwickelte Mittel, die sogenannten CGRP-Antikörper. Krohn: „Derzeit bezahlen die Krankenkassen sie aber erst, wenn die anderen Mittel zur Vorbeugung nicht wirken.“

Überblick zur Migräne bekommen

Wie schlimm ist die Migräne bei mir tatsächlich? Um hier einen Überblick zu bekommen, helfen spezielle Kopfschmerzkalender oder Handy-Apps. So findet man zum Beispiel heraus, ob die Migräne eher an Wochenenden oder freien Tagen auftritt, was nicht selten der Fall ist. Auch lässt sich mit Kalender oder App überwachen, wie oft man welche Medikamente genommen hat. All das sind wichtige Informationen für die neurologische Behandlung.

Migräne ist kein Schicksal

Oft ist Migräne-Anfälligkeit genetisch bedingt. Erste Attacken können schon im Kindesalter auftreten. „Haben Eltern oder Großeltern dann auch Migräne, wird das aber oft nicht als Erkrankung verstanden“, sagt Hirnstiftungsneurologe Krohn. Häufig hört er von Betroffenen, da könne man sowieso nichts machen, die Schmerzen seien halt normal. Viele suchen dann gar nicht erst nach ärztlichem Rat. „Tatsache ist aber: Es gibt Hilfe und wirksame Therapien“, betont der Patientenberater. „Migräne ist kein Schicksal!“

Die Deutsche Hirnstiftung hilft

Migräne-Betroffene können sich von der Deutschen Hirnstiftung kostenfrei beraten lassen. Das geht online über die Webseite hirnstiftung.link/online-anfrage. Oder einmal im Monat telefonisch, dazu kann man sich hier anmelden: hirnstiftung.link/expertentelefon. Mitglieder der Deutschen Hirnstiftung erreichen Patientenberater Dr. Krohn auch laufend am Telefon.

Weitere Tipps zu Migräne und anderen Kopfschmerzarten finden Betroffene hier: hirnstiftung.link/kopfschmerzen

Quellen:

[1] Journal of Health Monitoring · 2020 5(S6) DOI 10.25646/6988.2
[2] Diener H.-C., Gaul C., Kropp P. et al., Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne, S1-Leitlinie, 2018, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online: www.dgn.org/leitlinien (abgerufen am 10.06.2022)


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