03.09.2024

Zu wenig Migräne-Betroffene erhalten die richtigen Medikamente

© rattanakun

Am 5. September ist Kopfschmerz- und Migräne-Tag. Er ist wichtig, denn in Deutschland ist Migräne noch immer unterbehandelt.

  • Viele Betroffene holen keinen ärztlichen Rat ein, sondern behelfen sich mit frei verkäuflichen Schmerzmitteln, ohne die Risiken zu kennen.
  • Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und die Deutsche Hirnstiftung mahnen: Die Migräne-Therapie gehört in fachärztliche Hände.
  • Wichtig ist zudem, den Lebensstil zu verändern und Migräne-Auslöser zu vermeiden. Jüngst sind zwei neue bekannt geworden.

Kopfschmerz-Erkrankungen sind häufig

14,8 Prozent aller Frauen und 6,0 Prozent der Männer erfüllen die Diagnosekriterien für Migräne [1]. Unter Spannungskopfschmerzen leiden etwa 10 Prozent der Frauen und 6,5 Prozent der Männer.

Die Zahl der Menschen, die sich wegen Kopfschmerzen krankschreiben lassen, hat sich seit 2003 insgesamt vervierfacht, auch jüngere Menschen sind häufig betroffen [2].

Gerade eine Migräne, die neben Schmerzen oft auch mit Übelkeit und Erbrechen einhergeht, beeinträchtigt die Lebensqualität der Betroffenen stark.

Wirksame Migräne-Medikamente kaum genutzt

Doch es gibt wirksame Medikamente: seit langem schon die Triptane, und neuerdings auch Gepante und Ditane.

Diese speziellen Migräne-Medikamente wirken bei einer Migräne-Attacke nicht nur gegen die Schmerzen, sondern auch gegen Übelkeit und Erbrechen.

Die Daten einer repräsentativen bevölkerungsbezogenen Studie in Deutschland des Robert Koch-Instituts aus dem Jahr 2020 [1] zeigten allerdings, dass lediglich 7,3 Prozent der Migräne-Betroffenen zur Therapie akuter Kopfschmerz-Attacken Triptane einnahmen.

Frei verkäufliche Schmerzmittel dominieren

Die Mehrheit der Betroffenen verwendete frei verkäufliche Schmerzmittel, die nicht speziell gegen Kopfschmerzen entwickelt wurden:

  • 46 Prozent behandelten ihre Migräne-Attacken mit Ibuprofen
  • 17 Prozent mit Paracetamol
  • 10 Prozent mit Acetylsalicylsäure

Das deutet darauf, dass viele Menschen mit Migräne keinen ärztlichen Rat einholen, denn viele der Triptane müssen ärztlich verschrieben werden.

Vielen Migräne-Betroffenen könnten Schmerzen erspart werden

„Das ist schade, denn vielen Betroffenen könnten Schmerzen erspart werden“, erklärt Prof. Dr. med. Frank Erbguth, Präsident der Deutschen Hirnstiftung.

„Es wird unterschätzt, dass die Migräne eine neurologische Krankheit ist, bei der eine neurologische Betreuung angeraten ist. Beispielsweise wissen wir, dass eine Migräne zu einem höheren Schlaganfallrisiko bei jüngeren Menschen führt.“ [3]

Zu viel frei verkäufliche Schmerzmittel können schaden

Experte Erbguth weist darauf hin, dass die Einnahme von frei verkäuflichen Schmerzmitteln ohne Rücksprache mit dem Arzt meistens nicht nur weniger effektiv, sondern langfristig auch gefährlich sein kann.

So können beispielsweise nichtsteroidale Antirheumatika, wie etwa Acetylsalicylsäure, bei häufigem und mehrjährigem Gebrauch so sehr die Nieren schädigen, dass eine Dialyse erforderlich wird.

Kopfschmerzen durch Schmerzmittel

„Hinzu kommt das Risiko eines Medikamenten-Übergebrauchskopfschmerzes. Denn Schmerzmittel können bei zu häufiger Anwendung Kopfschmerzen auslösen“, so Erbguth.

„Das Risiko besteht grundsätzlich auch bei Triptanen. Aber hier hat die behandelnde Ärztin im Blick, wie viel verschrieben wird und kann bei Bedarf andere moderne Präparate kombinieren, sodass die maximale Triptan-Dosis nicht überschritten wird.“

Vorbeugen ist wichtig

Die Deutsche Hirnstiftung weist auf Möglichkeiten der Vorbeugung hin. Erbguth: „Wer unter Migräne leidet, sollte regelmäßig Ausdauersport treiben, das senkt die Anfallshäufigkeit und die Stärke des Schmerzes.“

Auch sollten die bekannten Auslöser einer Attacke, die individuell ganz unterschiedlich sein können, vermieden werden.

„Bei einem Patienten ist es grelles Licht, bei einer anderen Patientin Lärm. Auch Übermüdung und Stress spielt eine Rolle. Außerdem ist bekannt, dass Alkohol die Entstehung von Migräne-Attacken begünstigt“, ergänzt Erbguth.

Migräne-Risikofaktor Säureblocker

Im Sommer sind zwei Studien publiziert worden, die auf neue Migräne-Risikofaktoren hindeuten.

Die eine zeigte eine Assoziation zwischen der Einnahme von Säure bindenden Medikamenten gegen Sodbrennen auf [4]: Unter Therapie mit Protonenpumpenhemmer, kurz PPI, war das Migräne-Risiko 70 Prozent höher, unter H2-Hemmern 40 Prozent höher und unter generischen Antazida 30 Prozent.

„Viele Menschen nehmen unbedacht derartige ‚Magenschutz-Medikamente‘ ein, zum Teil auch dauerhaft oder prophylaktisch, insbesondere, wenn bei Kopfschmerzen häufig nicht spezifische Schmerzmittel benötigt werden“, erklärt DGN-Generalsekretär Prof. Dr. Peter Berlit.

„Dieses Problem haben Triptane nicht. Sie wirken besser und machen kein Sodbrennen.“

Migräne-Risikofaktor Bluthochdruck

Eine weitere Studie [5] zeigte, dass hohe diastolische Blutdruckwerte (≥ 90 mm Hg) bei Frauen mit einer höheren Migräne-Prävalenz vergesellschaftet sind.

„Warum hohe diastolische Blutdruckwerte bei Frauen in einem höheren Maße als bei Männern mit Migräne korreliert sind, bleibt zu untersuchen“, betont Berlit.

„Da aber bekannt ist, dass regelmäßiger Sport zu einer Senkung insbesondere der diastolischen Blutdruckwerte führt, gibt es einen zusätzlichen Grund, bei Migräne körperlich aktiv zu sein.“

Quellen:

[1] Migraine and tension-type headache in Germany. Prevalence and disease severity from the BURDEN 2020 Burden of Disease Study
[2] Krankschreibungen aufgrund von Kopfschmerzen haben sich seit 2003 vervierfacht
[3] Association of Traditional and Nontraditional Risk Factors in the Development of Strokes Among Young Adults by Sex and Age Group: A Retrospective Case-Control Study
[4] Use of Acid-Suppression Therapy and Odds of Migraine and Severe Headache in the National Health and Nutrition Examination Survey
[5] Sex-Specific Association of Cardiovascular Risk Factors With Migraine: The Population-Based Rotterdam Study


Haben Sie neurologische Fragen? Wir beraten Betroffene kostenfrei online und am Telefon. Mitglieder der Deutschen Hirnstiftung können für die Telefonberatung laufend einen Termin vereinbaren unter 030 531 437 936 (Mo-Fr, 10-14 Uhr).

Nutzen und fördern Sie unsere kostenfreie Beratung!

Ihre Spende oder Mitgliedschaft hilft uns helfen.

Jetzt via Paypal spenden

Weitere Artikel zu Aktuelles Startseite