01.12.2022

HIV-Infektion verdoppelt Demenz-Risiko

Welt-AIDS-Tag 2022

Neurologische Studien zeigen weitgehend übereinstimmend, dass in jedem Lebensalter eine HIV-Infektion das Risiko einer Demenz etwa verdoppelt. Hinzu können weitere neurologische Schäden kommen, wie Nervenschädigungen und sogar Hirntumoren.

Seit über 25 Jahren werden HIV-Infizierte mit einer sogenannten hochaktiven antiretroviralen Kombinationstherapie behandelt. Die Medikamente sind heute so effektiv, dass die HI-Viren im Blut bis unter die Nachweisgrenze reduziert werden können. Durch die Behandlung ist das Vollbild einer HIV-Infektion, die AIDS-Erkrankung, heute relativ selten geworden. Von den Betroffenen entwickelt dennoch ein Teil neurologische Auffälligkeiten, selbst wenn sie nicht das Vollbild entwickelt haben [1].

HI-Virus greift auch Nervenzellen an

Der Grund: Neben Zellen des Immunsystems schädigt HIV auch andere Zellen, darunter Nervenzellen. Das führt zu neurologischen Symptomen, Begleit- und Folgekrankheiten – sowohl durch direkten HI-Virusbefall als auch durch Immunschwäche bedingte Erkrankungen wie Infektionen und Krebsgeschwulste. Die HIV-assoziierten neurologischen Erkrankungen kann eine antiretrovirale Therapie bis heute nicht alle verhindern.

Schrecken längst nicht verloren

„Die Deutsche Hirnstiftung möchte daher an die HIV-Prävention erinnern, die durchaus in Vergessenheit gerät“, erklärt Prof. Dr. Frank Erbguth, Präsident der Deutschen Hirnstiftung, die Betroffene persönlich berät. „Gegen HIV gibt es keine Impfung, Safer Sex ist nach wie vor der einzige Schutz gegen eine Krankheit, die zwar kontrollierbarer geworden ist, letztlich aber zu massiven Einschränkungen der Lebensqualität und einer hohen neurologischen Krankheitslast führt. Das HI-Virus hat seinen Schrecken längst nicht verloren.“

HIV-assoziierte Demenz

Beispielsweise kann es zur massiven HIV-assoziierten Demenz kommen, die im Spätstadium auch zur Lähmung von Armen und Beinen und zum völligen Rückzug und zur geistigen Erstarrung führen kann und tödlich endet. Ein Grund dafür ist, dass trotz Kombinationstherapie im Gehirn nicht immer ausreichend hohe Wirkspiegel der Medikamente erreicht werden.

Zwar ist die HIV-assoziierte Demenz deutlich seltener geworden, dennoch kann es zu Vorstufen kommen. Die Betroffenen leiden dann unter leichteren kognitiven Einschränkungen wie Gedächtnis- und Konzentrationsproblemen. Psychomotorische Verlangsamung, Antriebsmangel, sozialer Rückzug, Depressivität und Apathie können hinzukommen.

Zunehmende geistige Einschränkungen

Später kann es aufgrund von zunehmenden Störungen von geistigen Fähigkeiten, die das menschliche Denken und Handeln steuern (Exekutivfunktionen), intellektuellen Fähigkeiten und der Informationsverarbeitung zu Schwierigkeiten im Beruf und Alltagsleben kommen. Insgesamt ähnelt das Krankheitsbild einer Alzheimer-Demenz. Wie auch bei der „normalen“ Demenz ist Alter ein Risikofaktor – HIV-positive Menschen über 65 Jahre sind häufiger betroffen [2].

Bislang keine Medikamente vorhanden

Wie für die altersbedingte Demenz gibt es auch für die HIV-assoziierte Demenz keine Therapie, die an den Ursachen angreift. Derzeit befinden sich verschiedene Medikamente in der klinischen Prüfung, um den Krankheitsverlauf zu verlangsamen. Dazu gehören Wirkstoffe, die die neuronale Entzündung reduzieren oder in den Stoffwechsel der Botenstoffe eingreifen und die bereits bei anderen neurologischen Erkrankungen wie der Multiplen Sklerose zum Einsatz kommen [3]. Ob sie die HIV-assoziierte Demenz aufhalten können, ist derzeit allerdings noch unklar.

HIV-assoziierte Demenz nicht zwangsläufig

Wer an milderen Beeinträchtigungen des Zentralnervensystems durch das HI-Virus leidet, muss nicht gleich eine Demenz als zwangsläufige Spätfolge befürchten. Wer jedoch Beschwerden wie Konzentrations- und Gedächtnisstörungen hat, sollte diese ernst nehmen und die Probleme mit seinem HIV-Arzt besprechen. Gegebenenfalls sollte dann die HIV-Therapie verändert oder intensiviert werden.

Tests wichtig

Durch die immer besser werdenden HIV-Behandlungen treten auch weniger neurologische Komplikationen auf. Als wirksam haben sich auch Ausdauertraining und Gedächtnistraining erwiesen – Betroffene können also etwas tun. Wichtig sind dafür regelmäßige Untersuchungen bei HIV-Positiven, auch mit kognitiven Testverfahren. So können erste kognitive Störungen frühzeitig festgestellt werden. Betroffene sollten sich alle ein bis zwei Jahre neurokognitiven Tests unterziehen, so schlägt es die Europäische HIV-Therapie-Richtlinien vor. Dabei überprüft man zum Beispiel die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung, Lernen und Gedächtnis, die Aufmerksamkeit und die motorischen Fähigkeiten.

HIV-assoziierte Nervenschädigungen und Hirntumoren

Eine weitere Komplikation ist die HIV-assoziierte Nervenschädigungen (Neuropathien). Dabei sind periphere Nerven, also außerhalb von Gehirn und Rückenmark, sowie deren Isolationsschicht, die Myelinscheiden, geschädigt. Ursächlich ist entweder das Virus selbst oder es handelt sich um Nebenwirkungen der HIV-Medikamente.

Bei den Nervenschädigungen kommt zu aufsteigendem Kribbeln oder brennenden Missempfindungen und Schmerzen in den Zehen und Füßen, bis hin zu Taubheit. Was harmlos klingt, kann die Lebensqualität deutlich vermindern, im Vollbild auch Gang und Balance stark beeinträchtigen. Eine aktuelle Studie [4] zeigt zudem, dass die Neuropathie oft ein Risikofaktor für den kognitiven Abbau darstellt – ein Zusammenhang, der bei Menschen ohne HIV nicht besteht oder noch nicht untersucht wurde.

Zur Wirksamkeit der bevorzugten Behandlungsoption mit den Medikamenten Pregabalin und Gabapentin gibt es noch wenig Daten [5]. Eine aktuelle Studie [5] zeigte allerdings, dass Betroffene bei diesen Symptomen von einem Krafttraining profitieren.

Zu den schwersten neurologischen Komplikationen einer HIV-Infektion gehören zudem HIV-assoziierte Lymphome (Krebs des Lymphgewebes) im Gehirn und Rückenmark. Typische Symptome sind Krampfanfälle, Bewusstseinsstörungen und Halbseitenlähmung.

Quellen:

  • [1] Wei J, Hou J, Su B, Jiang T, Guo C, Wang W, Zhang Y, Chang B, Wu H, Zhang T. The Prevalence of Frascati-Criteria-Based HIV-Associated Neurocognitive Disorder (HAND) in HIV-Infected Adults: A Systematic Review and Meta-Analysis. Front Neurol 2020 doi: 10.3389/fneur.2020.581346
  • [2] Boonyagars L, Kiatsoongsong N, Winitprichagul S. HIV-Associated Dementia: Associated Factors and Characteristics of Cognitive Domain Abnormalities in Elderly People Living with HIV Treated with Highly Active Antiretroviral Therapy. Am J Trop Med Hyg. 2022 Oct 31:tpmd220234. doi: 10.4269/ajtmh.22-0234. Epub ahead of print. PMID: 36315995.
  • [3] Kolson DL. Developments in Neuroprotection for HIV-Associated Neurocognitive Disorders (HAND). Curr HIV/AIDS Rep. 2022 Oct;19(5):344-357. doi: 10.1007/s11904-022-00612-2. Epub 2022 Jul 22. PMID: 35867211; PMCID: PMC9305687.
  • [4] Ellis RJ, Sacktor N, Clifford DB, Marra CM, Collier AC, Gelman B, Robinson-Papp J, Letendre SL, Heaton RK; CNS Antiretroviral Therapy Effects Research (CHARTER) Study Group. Neuropathic pain correlates with worsening cognition in people with human immunodeficiency virus. Brain. 2022 Jun 30;145(6):2206-2213. doi: 10.1093/brain/awab462. PMID: 35773234; PMCID: PMC9630658.
  • [5] Egan KE, Caldwell GM, Eckmann MS. HIV Neuropathy-a Review of Mechanisms, Diagnosis, and Treatment of Pain. Curr Pain Headache Rep. 2021 Jul 8;25(8):55. doi: 10.1007/s11916-021-00971-2. PMID: 34236528.
  • [6] Yakasai AM, Maharaj S, Danazumi MS. Strength exercise for balance and gait in HIV-associated distal symmetrical polyneuropathy: A randomised controlled trial. South Afr J HIV Med. 2021 Oct 5;22(1):1268. doi: 10.4102/sajhivmed.v22i1.1268. PMID: 34858651; PMCID: PMC8603110.

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