08.07.2021

Armlähmung: Motorische Rehabilitation der oberen Extremität

Armlähmungen gehören zu den häufigsten Folgen einer Hirnschädigung, wie zum Beispiel nach einem Schlaganfall. Dann ist die Frage: Wie stark ist die Armlähmung ausgeprägt ist und wie lässt sie sich behandeln? Das hat einen wesentlichen Einfluss darauf, ob Betroffene nach einem Schlaganfall wieder in der Lage sein werden, ihren Alltag zu bewältigen.

In der Armrehabilitation gibt es dazu viele unterschiedliche therapeutische Ansätze. Welche Therapie im Einzelfall zum Einsatz kommt, hängt jeweils von den individuellen Gegebenheiten ab. Auch wird sie je nach Schwere der Lähmung und Armfunktionsstörung, den konkreten Behandlungszielen und verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten zwischen behandelnden Ärzt*innen, Therapeut*innen sowie Betroffenen abgestimmt.

Wie zeigen sich Armlähmungen und wie wirken sie sich im Alltag aus?

Die Armlähmung kann sehr unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Häufig beobachtet werden leichtere Lähmungen und auch sehr schwere Lähmungen. Patienten mit einer schweren Armlähmung können ihren Arm oft im Alltag gar nicht oder nur sehr eingeschränkt einsetzen. Diesen Patienten fällt es schwer, einzelne Abschnitte im Arm willentlich zu bewegen. Das gilt zum Beispiel für den Arm im Schulterbereich, im Ellenbogen, im Handgelenk oder in den Fingern. Zu dem Problem der stark beeinträchtigten willentlichen Bewegungsfähigkeit kommt oft noch eine erhöhte Muskelanspannung („Spastik“) hinzu. Sie wird begleitet von einer Fehlstellung des Armes in Ruhe und bereitet Pflegenden Schwierigkeiten dabei, den Arm zu hantieren (zum Beispiel beim Waschen oder Anziehen).

Betroffene mit leichten Armlähmungen können ihren Arm zwar bewegen und im Alltag einsetzen. Die Bewegungen sind dabei aber oftmals noch verlangsamt und „ungeschickt“. Vieles, was eine gesunde Person mit ihrem Arm im Alltag macht, fällt schwer. Oder es gelingt nicht mehr so gut, obwohl der Arm bewegt werden kann.

Ursachen von Armlähmungen und deren Auswirkungen auf die Bewegungskontrolle

Im Gehirn gibt es Gebiete, die für die Steuerung jeder Bewegung erforderlich sind. In der linken Hirnhälfte liegen diese für die rechte Körperseite, in der rechten Hirnhälfte für die linke Körperseite. Man nennt diese Gebiete „motorischer Kortex“ (Hirnrinde). Eine Lähmung entsteht, wenn entweder der motorische Kortex selbst geschädigt ist. Oder wenn die Nervenleitbahnen vom motorischen Kortex zum Rückenmark geschädigt sind (die sogenannten „kortikospinalen Bahnen“). Die Lähmung kann gering sein, schwer oder auch so schwer, dass keinerlei Bewegung mehr möglich ist („komplette Lähmung“).

Die Lähmung nach einer Hirnschädigung kann als eine Störung der Bewegungskontrolle verstanden werden. Bei schweren Lähmungen gelingt es den Betroffenen hier nicht mehr oder nur sehr begrenzt, Arm, Hand und Finger in den betroffenen Abschnitten zu bewegen. Bei leichten Lähmungen gelingt das. Aber die feine Abstimmung der Bewegungskontrolle etwa beim Hantieren von Objekten oder beim Schreiben ist noch gestört. Es kommt also zu Armfunktionsstörungen aufgrund der Lähmung.

Untersuchung von Lähmungen des Armes

Ob eine Armlähmung nach einem Schlaganfall vorliegt, stellt der behandelnde Arzt in der klinisch-neurologischen Untersuchung vom. Liegt eine Lähmung vor, prüft er, wie stark sie ausgeprägt ist. Anschließend geht es darum, Therapieziele gemeinsam festzulegen, geeignete therapeutische Vorgehensweisen auszusuchen und im Verlauf die Therapieerfolge möglichst objektiv festzuhalten. Dabei können standardisierte klinische Beurteilungsmethoden nützlich sein. Diese Tests werden als „Beurteilungsskalen“ oder auch als „Assessment“-Verfahren bezeichnet. Sie basieren darauf, dass bestimmte Aspekte der Armmotorik bzw. der Armfunktion mit den jeweils gleichen Aufgaben beurteilt werden.

Für die Erfassung der Armmotorik sind insbesondere drei Aspekte relevant:

  • die Beurteilung der Kraft und aktiven Bewegungsfähigkeit im betroffenen Arm,
  • die alltagsbezogene Beurteilung der Armfunktion des gelähmten Armes,
  • die Beurteilung von erhöhter Muskelanspannung (Spastik).

Therapiemöglichkeiten von Armlähmungen

In der Arm-Rehabilitation können sehr unterschiedliche therapeutische Ansätze gewählt werden. Einerseits gibt es verschiedene Therapieformen ohne technische Geräte, um in der Ergo- oder Physiotherapie den betroffenen Arm aktiv zu trainieren. Andererseits gibt es eine Reihe von Therapieansätzen, die mit spezifischer therapeutischer Technik (Geräten) durchgeführt werden.

Hinsichtlich der Dauer und Intensität der Therapie sollte die Rehabilitation der Armmotorik früh nach einem Schlaganfall beginnen. Insbesondere in der frühen Phase nach dem Schlaganfall wird empfohlen, dass eine zusätzliche spezifische Armrehabilitation für mindestens 30 Minuten jeden Werktag erfolgt. Das ist wichtig, um eine zusätzliche Funktionsverbesserung oder zumindest eine Beschleunigung der Wiederherstellung der Armmotorik zu erreichen.

In der späten Krankheitsphase (zum Beispiel ein Jahr und später nach einem Schlaganfall) können spezifische Maßnahmen der Armrehabilitation empfehlenswert sein, wie zum Beispiel 90–270 Minuten pro Woche ein strukturiertes, sich wiederholendes Training. Das ist der Fall, wenn es noch funktionelle Defizite gibt und in der Therapie funktionelle Verbesserungen erreicht werden (beziehungsweise eine Verschlechterung nach deren Absetzen einsetzt).

Die verschiedenen klassischen Physiotherapie­schulen (zum Beispiel Bobath oder PNF) werden nicht ausdrücklich empfohlen. Wenn sie mit neueren Ansätzen der Armrehabilitation in Studien verglichen wurden, waren sie teilweise ähnlich gut wirksam, aber häufiger auch unterlegen.

Insbesondere bei leichten bis mittelschweren Lähmungen ist für die Behandlung geeigneter Patienten ein „Zirkeltraining“ denkbar. Dabei können auch passive mechanische Trainingsgeräte und virtuelle Realitäts-Anwendungen zum Einsatz kommen. Um die Arm-Handaktivitäten zu verbessern, lassen sich tägliches Eigentraining und Training mit Therapeuten kombinieren (Eigentraining mit regelmäßiger therapeutischer Begleitung, 90 Minuten pro Woche). Beides muss an die Armlähmungsschwere angepasst sein.

Neuere Therapieverfahren

Über die beschriebenen Möglichkeiten hinaus gibt es verschiedene neuere Therapieverfahren wie:

  • das schädigungsorientierte Training mit dem Arm-Fähigkeits-Training und dem Arm-Basis-Training
  • das bilaterale Training und das aufgabenorientierte Training
  • die Bewegungsinduktionstherapie (auch „constraint-induced movement therapy, CIMT“ genannt)

Zusätzlich gibt es geräteunterstützte Therapien wie die neuromuskuläre Elektrostimulation und die Robot-Therapie, aber auch die Therapie mit virtueller Realitätsanwendungen sowie die sensible Stimulation und Akupunktur. Zur Verfügung stehen ebenfalls Verfahren der nicht-invasiven Hirnstimulation und eine medikamentöse Unterstützung der Armrehabilitation.

Mit dem Arm-Basis-Training übt man jeden Tag die Bewegungsfähigkeit wiederholt und einzeln in den verschiedenen Abschnitten von Arm, Hand und Fingern. Sie sollte bei Patienten früh nach dem Schlaganfall durchgeführt werden. Ziel ist bei schwerer Lähmung eine Verbesserung der selektiven Beweglichkeit, also etwa die aktive Bewegungsfähigkeit in den einzelnen Gelenken von Arm und Hand.

Das Arm-Fähigkeits-Training trainiert täglich Präzision und Geschwindigkeit („Geschicklichkeit“) bei verschiedenen Armfunktions-Anforderungen an der individuellen Leistungsgrenze. Das sollte durchgeführt werden, wenn bei leichten Lähmungen eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Sensomotorik (Fein- und Zielmotorik) erreicht werden soll.

Aufgabenorientiertes Training stellt eine Therapieoption zur Verbesserung der Armaktivitäten, also beim Einsatz eines teilgelähmten Armes bei Alltagsverrichtungen dar.

Bewegungsinduktionstherapie

Die sogenannte Bewegungsinduktionstherapie („Constraint induced movement therapy, CIMT“) ist eine spezielle Therapie für Schlaganfall-Betroffene mit einem „erlernten Nicht-Gebrauch“. Diese Personen haben früh nach einem Schlaganfall realisiert, dass ihr gelähmter Arm im Alltag nicht oder kaum eingesetzt werden kann. Sie haben dann gelernt, alles mit der nicht betroffenen Hand zu machen. Später hat sich der gelähmte Arm eventuell schon erholt. Aber er wird nicht eingesetzt, da Betroffene ihr anfänglich erlerntes Verhalten weiter beibehalten.

CIMT umfasst üblicherweise sechs Stunden Therapie pro Tag. Ergänzend stellt man über zwei Wochen die weniger betroffene Hand für die größte Zeit des Tages ruhig (90 Prozent der Wachstunden). Möglich ist auch eine abgeänderte, weniger intensive Form. Hier wird beispielweise zwei Stunden pro Tag trainiert und die nicht betroffene Hand fünf bis sechs Stunden ruhiggestellt.

Diese Behandlungsformen sind sehr zeitintensiv. Aber sie sind wirksam, um einen erlernten „Nichtgebrauch“ zu verändern und den tatsächlichen Einsatz des betroffenen Armes im Alltag zu fördern. CIMT kann wegen des erforderlichen Therapieumfanges nur an wenigen Orten angeboten werden.

Wenn eine solche Therapie organisatorisch möglich gemacht werden kann, ist sie sinnvoll, wenn der Patient bestimmte Voraussetzungen erfüllt. Unter anderem müssen eine zum Teil erhaltene Handfunktion und ein gelernter „Nichtgebrauch“ des Armes im Alltag vorhanden sein. In den ersten 6 Wochen nach einem Schlaganfall sollte CIMT dann in der weniger intensiven Form eingesetzt werden.

Weitere Verfahren

Bei der Spiegeltherapie betrachtet der Patient im Spiegel die Bewegung seiner nicht gelähmten Hand. Durch den Blick in den Spiegel sieht diese Bewegung so aus als würde sich seine gelähmte Hand ganz normal bewegen. Dadurch soll das Gehirn in der betroffenen Region angeregt werden, die Funktion von Hand und Arm wieder herzustellen.

Eine Verbesserung der Armfunktion ist auch durch das mentale Training denkbar. Patienten mit vorhandener Restfunktion der gelähmten Hand stellen sich dabei Bewegungen vor oder den Einsatz des betroffenen Arms bei Alltagsverrichtungen.

Bei den verschiedenen Verfahren der neuromuskulären Elektrostimulation werden Nerven und Muskel am Arm elektrisch stimuliert. So erzeugt man technisch eine Bewegung, die eine betroffene Person mit schwerer Armlähmung nach Hirnschädigung noch nicht selbst ausführen könnte. Elektrostimulation kann durchgeführt werden, wenn eine Verbesserung der Armfunktion und Aktivitäten bei einer schweren Armlähmung angestrebt ist.

Arm-Therapie-Roboter können je nach Bauart Schulter- und Ellenbogen-Bewegungen, Unterarm- und Handgelenksbewegungen oder Fingerbewegungen mechanisch unterstützen. Die Arm-Therapie-Roboter erkennen, welchen Anteil an Bewegungen der Betroffene schon selbst ausführen kann und ergänzen den Rest der Trainingsbewegungen. Mit ihnen können Betroffene mit sehr hohen Wiederholungsraten die gezielte Bewegungsfähigkeit in den einzelnen Armabschnitten trainieren und verbessern. Wenn eine Armrobot-Therapie angeboten werden kann, sollte sie daher zum Einsatz kommen, um die selektive Beweglichkeit der einzelnen Gelenke bei der schweren Armlähmung zu verbessern.

Als Zusatztherapie zur Behandlung von Armlähmungen können verschiedene Formen der sensiblen Stimulation erwogen werden. Das sind zum Beispiel die elektrische sensible Stimulation, die thermische sensible Stimulationen (also mit Wärme oder Kälte) und ansonsten auch eine Akupunktur.

Quellen:

Dieser Beitrag basiert auf der medizinischen Behandlungsleitlinie „Rehabilitative Therapie bei Armparese nach Schlaganfall“ (Stand: 23.04.2020). Diese wurde die medizinischen Fachgesellschaften übergreifend nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft (evidenzbasiert) erstellt.

Autor des Beitrags: Prof. Dr. med. T. Platz, Institut für Neurorehabilitation und Evidenzbasierung, An-Institut der Universität Greifswald, BDH-Klinik Greifswald und AG Neurorehabilitation, Universitätsmedizin Greifswald


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