19.10.2022
Restless Legs Syndrom – weit verbreitet und doch wenig bekannt
Von Dr. phil. Katharina Glanz, MScPH, Leiterin unseres Mitglieds RLS e.V. – Deutsche Restless Legs Vereinigung
Bis zu 10 Prozent der deutschen Bevölkerung leiden nachts an Bewegungsdrang sowie unangenehmen bis schmerzhaften Missempfindungen in den Beinen. Dieses „Restless Legs Syndrom“ beeinträchtigt die Lebensqualität sehr. Eine speziell angepasste Behandlung kann helfen – nur wird die Krankheit nicht immer richtig erkannt.
Der Artikel im Überblick:
Nicht vorstellbare Qualen
Die Probleme kommen vor allem nachts: Sobald Frau M. sich entspannen oder schlafen gehen möchte, hat sie das Gefühl, ihre Beine ständig bewegen zu müssen. Durch Aufstehen und Umhergehen lassen sich die Beschwerden kurzfristig lindern, kehren jedoch in der nächsten Ruhephase rasch wieder zurück. Doch nicht nur das: Die nächtliche Unruhe wird von unangenehmen Empfindungen und manchmal auch von Schmerzen in den Beinen begleitet. „In guten Nächten“, so Frau M., „ist es ein muskelkaterähnlicher Schmerz, in schlechten Nächten ist mein ganzer Körper so unruhig und meine Beine schmerzen so unangenehm, dass ich die ganze Nacht umherlaufen muss. Diese Qualen können sich andere Menschen gar nicht vorstellen.“
RLS-Symptome und Folgeerscheinungen
Bei Frau M. wurde ein Restless Legs Syndrom (RLS) festgestellt. Typisch für diese auch als „Syndrom der unruhigen Beine“ bekannte Krankheit sind unangenehme bis schmerzhafte, schwer zu beschreibende Missempfindungen. Hinzu kommen ein ausgeprägter Bewegungsdrang vor allem der Beine, mitunter aber auch der Arme oder anderer Körperregionen.
Der ständige Drang, sich zu bewegen, kann sehr belastend sein und die Lebensqualität deutlich einschränken. An ausreichend Schlaf ist oft nicht mehr zu denken. Das RLS mindert aber nicht nur die Schlafdauer, sondern auch die Schlafqualität, die gerade für den Regenerationsprozess des Körpers und des Geistes essenziell ist. Müdigkeit, Erschöpfung und Verstimmungen können die Folge sein und berufliche und soziale Aktivitäten wie etwa Theaterbesuche oder Konzerte beeinträchtigen. Eine weitere Belastungssteigerung erfahren oft die Betroffenen, die auch am Tag Symptome verspüren.
RLS ist weit verbreitet
Das RLS ist in den westlichen Industrieländern eine der häufigsten Erkrankungen des Nervensystems. Zwischen 5 und 10 Prozent der Bevölkerung sind betroffen; Frauen etwa doppelt so häufig wie Männer. Meist tritt das RLS im mittleren Lebensalter auf, mitunter sind aber auch schon Kinder betroffen. Viele Menschen haben jedoch nur selten Beschwerden und fühlen sich deswegen auch nicht beeinträchtigt. Einen Krankheitswert haben die Symptome erst dann, wenn sie zu wesentlichen Einschränkungen im Alltag führen. Meist ist das bei Patienten der Fall, deren Symptome häufiger als zwei Mal pro Woche auftreten. Schätzungsweise haben etwa 20 bis 30 Prozent der Betroffenen (das entspricht 3 Prozent der Bevölkerung) so starke Symptome, dass RLS behandlungsbedürftig wird.
RLS ist keine „neumodische“ Krankheit. Die Erkrankung wird seit der Mitte des 17. Jahrhunderts unter verschiedenen Namen in medizinischen Berichten und Aufzeichnungen beschrieben. Seit dem Jahr 1945 wird die Bezeichnung Restless Legs Syndrom (RLS) verwendet. Diese Bezeichnung geht auf den schwedischen Neurologen Karl Axel Ekbom zurück, nach dem das Syndrom auch als Willis-Ekbom-Krankheit (WED) bezeichnet wird.
Wissen über das RLS ist oft unzureichend
Umfragen haben ergeben, dass Betroffene nicht selten viele Jahre lang unter den Symptomen leiden, bevor die Diagnose Restless Legs Syndrom gestellt wird. Die Suche nach kompetenten Ärzten und Ärztinnen ist oft schwierig und langwierig, da viele mit der Krankheit nicht vertraut sind. Das Wissen über das RLS ist oft ebenso unzureichend wie das Wissen über die verschiedenen für das RLS zugelassenen Therapiemöglichkeiten und deren Nebenwirkungen wie etwa die Augmentation, eine Verstärkung der Symptome durch eine zu hoch dosierte dopaminerge Therapie.
Falsche und verzögerte Diagnosen und Behandlungen sowie damit verbundene hohe Gesundheitskosten sind die Folge. RLS-Betroffene fühlen sich oft missverstanden und leiden sehr unter der Stigmatisierung. Insbesondere der chronische Schlafentzug führt zu einer verminderten Lebensqualität. Es kann zu vermehrten Krankschreibungen oder sogar zur Arbeitsunfähigkeit kommen. Vor diesem Hintergrund ist die Aufklärung der Ärztinnen und Ärzte, aber auch der anderen Gesundheitsberufe sowie der breiten Öffentlichkeit über alle Aspekte des RLS von besonderer Bedeutung.
RLS erkennen
Die Diagnose RLS beruht vorwiegend auf den Aussagen der Betroffenen. In der Regel reichen ein Gespräch und eine körperliche Untersuchung beim Neurologen aus. Fünf Minimalkriterien lassen auf ein RLS schließen.
- Unangenehme bis schmerzhafte Missempfindungen sowie ein ausgeprägter Bewegungsdrang vor allem der Beine, mitunter aber auch der Arme und anderer Körperregionen. Die Missempfindungen werden von den Betroffenen unterschiedlich beschrieben. Die Schilderungen reichen von Brennen, Ziehen, Elektrisieren, Kribbeln oder Ameisenlaufen in den Beinen bis hin zu einem Heiß- oder Kaltgefühl sowie Schmerzen oder Krämpfen.
- Diese Beschwerden treten dann auf, wenn der Körper zur Ruhe kommt.
- Bewegung wie Aufstehen, Laufen oder Dehnen führen zu einer teilweisen oder vollständigen Besserung der Beschwerden.
- Die Beschwerden folgen einem an den Tag- und Nachtwechsel gebundene Rhythmus. Die Symptome überwiegen dabei am Abend und in der Nacht
- Die Beschwerden können nicht primär als Symptom einer anderen Krankheit oder verhaltensbedingten Ursache (zum Beispiel Myalgie, venöse Stauung, Beinödeme, Arthritis, Beinkrämpfe, Einnahme unbequemer Positionen oder nervöses Wippen mit den Füßen) gewertet werden..
Weitere Kriterien wie Schlafstörungen und deren Folgen wie etwa eine ausgeprägte Tagesschläfrigkeit aufgrund von Ein- und Durchschlafstörungen, periodische Beinbewegungen im Schlaf (PLMS) sowie ein gehäuftes Auftreten innerhalb einer Familie können die Diagnose unterstützen. In unklaren Fällen kann es sein, dass der Arzt zusätzlich eine Untersuchung in einem Schlaflabor oder einen Medikamententest durchführen lässt, bei dem die Beschwerden nach Einnahme bestimmter Medikamente nachlassen.
Die Einstufung des Schweregrades der RLS-Symptomatik erfolgt anhand der von der International Restless Legs Study Group (IRLSSG) entwickelten Schweregradskala (IRLS Skala). Hierbei werden vom Patienten 10 Fragen beantwortet. Den Antworten werden Punkte zugeordnet. Maximal können 40 Punkte erreicht werden, wobei 1-10 Punkte auf ein leichtgradiges RLS, 11-20 Punkte auf ein mittelgradiges RLS, 21-30 Punkte auf ein schwergradiges RLS sowie 31-40 Punkte auf ein sehr schwergradiges RLS hinweisen.
Primäres oder sekundäres RLS?
In der Vergangenheit wurde häufig zwischen einem primären und sekundären Restless Legs Syndrom unterschieden. Ein primäres RLS wurde dadurch definiert, dass keine anderen Erkrankungen (etwa Polyneuropathie, Eisenmangel, Nierenerkrankungen, Diabetes) vorlagen. Als sekundär wurden alle Formen des Syndroms bezeichnet, die bei solchen Erkrankungen auftraten.
Durch das zunehmende Wissen um die möglichen Ursachen des Restless Legs Syndroms zeigt sich jedoch, dass die Übergänge zwischen diesen Kategorien fließend sind. Betroffene können nicht selten ein RLS und eine andere Begleiterkrankung gleichzeitig haben.
Die frühere Einteilung in „primär“ und „sekundär“ ist somit offensichtlich zu einfach und wird der Komplexität der Krankheitsursachen nicht gerecht. Zuvor wurden etwa Erkrankungen wie Eisenmangel, Niereninsuffizienz und Diabetes als Ursachen für ein RLS angesehenen – mittlerweile bezeichnet man sie aber eher als komorbide, also begleitende Erkrankungen, die mögliche Auslöser für das Syndrom darstellen. Zum Beispiel kann es sein, dass man eine genetische Veranlagung für ein RLS hat, die jedoch nur dann zum Tragen kommt, wenn ein weiterer auslösender Faktor wie Diabetes auftritt. Andererseits kann eine genetische Veranlagung aber auch so ausgeprägt sein, dass sie ohne einen weiteren Faktor zum Restless Legs Syndrom führt. Und in anderen Fällen ist die Veranlagung so gering, dass es viel größerer auslösender Faktoren bedarf, um die Krankheit ausbrechen zu lassen.
Ursachen des RLS
Ursache und Auslösefaktoren des RLS sind wissenschaftlich noch nicht hinreichend geklärt. Man geht von einer genetischen Disposition aus. Theorien zur Pathophysiologie umfassen unter anderem den Eisenstoffwechsel, den Dopaminhaushalt und das körpereigene Opioidsystem. Niereninsuffizienz und Schwangerschaft, die beide oft mit Eisenmangel einhergehen, sind häufige Ursachen für das Syndrom im Zusammenhang mit Begleiterkrankungen. Bestimmte Medikamente wie Antidepressiva können ebenfalls ein RLS auslösen oder verstärken.
RLS und Eisenhaushalt
Die Feststellung des Eisenhaushaltes gehört mit zur Diagnoseabklärung. Bei RLS-Betroffenen empfiehlt sich schon bei höheren Grenzwerten von Ferritin- (Speichereiweiß für Eisen) eine orale oder auch intravenöse Eisengabe. Gerade Frauen sind in Bezug auf Eisenmangel öfter betroffen.
RLS und Schwangerschaft
RLS ist ein besonderes Problem während der Schwangerschaft. In den westlichen Ländern ist etwa jede fünfte schwangere Frau betroffen, im letzten Schwangerschaftsdrittel sogar jede dritte. Während der Schwangerschaft sind die RLS-Symptome in der Regel stärker ausgeprägt und verursachen bei den betroffenen Frauen einen erheblichen Leidensdruck. Daskann sich wiederum negativ auf den Verlauf der Schwangerschaft auswirken. Die Wahl der Therapie ist hier besonders abzuwägen. Leidet man an einem bekannten Eisenmangel, so gilt es diesen am besten im Vorfeld zu beheben.
Behandlungsmöglichkeiten von RLS
Bislang gibt es noch keine Therapie, die bei den Ursachen des Restless Legs Syndroms ansetzt. Daher sind alle bekannten RLS-Behandlungen rein symptomatische Therapien. Das heißt, man versucht, die Beschwerden des Patienten oderder Patientin zu lindern und damit die Lebensqualität zu verbessern. Ist das RLS die Folge einer bekannten Krankheit, kann die Behandlung der ursächlichen Erkrankung etwa durch Gabe von Eisenpräparaten bei Eisenmangel zum Nachlassen der RLS-Beschwerden führen.
Ob und welche Therapie notwendig ist, ergibt sich aus dem individuellen Leidensdruck: Bei leichten Beschwerden können kalte oder warme Bäder, Massagen, Bandagen, Kompressen, Einreiben etwa mit kühlenden Gels oder moderate sportliche Bewegung helfen.
Ein gesunder Lebensstil mit ausreichender Bewegung, gesunder Ernährung und Schlafhygiene trägt auch bei RLS-Betroffenen zum Wohlbefinden bei.
Ist eine medikamentöse Therapie notwendig, muss der Arzt mit Blick auf die Schwere der Symptomatik, zeitliche Verteilung der Beschwerden und Nebenwirkungen individuell zwischen verschiedenen möglichen Therapieoptionen abwägen. Abhängig von der Schwere der Symptomatik, der zeitlichen Verteilung der Beschwerden und von vorbestehenden medikamentösen Nebenwirkungen ist bei der Behandlung abzuwägen. Möglich ist eine Therapie mit dopaminergen Medikamenten, Opioiden oder Medikamenten zur Behandlung neuropathischer Beschwerden. Hinweise zu den verschiedenen Therapieoptionen bietet auch die RLS-Leitlinie.
Menschen, die Informationen suchen, können sich neben der Deutschen Hirnstiftung an die RLS e.V. Deutsche Restless Legs Vereinigung wenden. Sie ist Ansprechpartner für Betroffene, Ärzte und Ärztinnen, Wissenschaft und Interessierte.
Haben Sie neurologische Fragen? Die Deutsche Hirnstiftung berät Betroffene und Interessierte kostenfrei online. Mitglieder erhalten zudem Unterstützung per Telefon und Video, zu rechtlichen Themen und bei der Krankheitsbewältigung. Mehr dazu erfahren Sie hier oder am Telefon 030 531 437 936 (Mo-Fr, 10-14 Uhr).
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Titelbild: unsplash / Lucrezia Carnelos (kn6QrWtnAtY)
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