21.09.2021
Alzheimer: Forschung und Behandlung machen Fortschritte
Alzheimer früher diagnostizieren und besser behandeln – das sind die immer näher rückenden Ziele der Alzheimer-Forschung. Ein weiterer wichtiger Schritt in diese Richtung wurde jetzt gemacht. Es handelt sich um das erste nationale Biomarker-basierte Register für Patienten mit Gedächtnisstörungen in Deutschland.
Wichtiger Bestandteil des neuen Demenz-Registers sind neben klinischen Messwerten die sogenannten Biomarker. Diese spielen insbesondere bei der Diagnose von Alzheimer eine zunehmend wichtige Rolle. Denn findet man bei Patienten bestimmte Biomarker im Nervenwasser oder bei bildgebenden Verfahren, „so kann Alzheimer schon in einem sehr frühen Stadium diagnostiziert werden und im besten Fall die Behandlung sehr viel früher beginnen“, sagt Prof. Dr. Kathrin Reetz, stellvertretende Präsidentin der Deutschen Hirnstiftung und Oberärztin an der Klinik für Neurologie des Universitätsklinikums Aachen.
Alzheimer beginnt lange vor den ersten Symptomen
Eine frühe Diagnose ist bei Alzheimer wichtig. „Verschiedene Studien deuten darauf hin, dass der Krankheitsprozess bereits zehn bis 20 Jahre vor dem Auftreten der ersten Symptome beginnt“, erläutert Prof. Kathrin Reetz. Bei der Alzheimer-Krankheit kommt es zu krankhaften Veränderungen von Eiweißen (Proteinen) im Gehirn, dem sogenannten Beta-Amyloid und dem Tau. Das Auftreten dieser Proteinablagerungen ist mit einem Verlust der Zellverbindungen und späterem Nervenzelluntergang – was dann zu den typischen Alzheimer-Symptomen wie Vergesslichkeit führt.
Im neuen Deutschen Demenz-Register sollen alle Daten zu den Biomarkern erfasst werden. Federführend für das Demenz-Register, das durch das Deutsche Netzwerk der Gedächtnisambulanzen verantwortet wird, ist Prof. Jörg Schulz. Er ist Mitglied im Fachbeirat der Deutschen Hirnstiftung sowie Direktor der Klinik für Neurologie des Universitätsklinikums Aachen und Leiter der Kommission für Demenzen der Deutschen Gesellschaft für Neurologie.
Alle Erkrankten können zum Demenz-Register beitragen
Im Deutschen Demenz-Register werden auch Daten zu Risikofaktoren, Klinik, Neuropsychologie und Bildgebung gesammelt. Prof. Jörg Schulz: „Alle Patienten mit Gedächtnisstörungen und entsprechenden Biomarkern können sich beteiligen.“ Das Deutsche Demenz-Register soll bei den sich im Deutschen Netzwerk beteiligenden Gedächtnisambulanzen verfügbar sein. Das sei natürlich freiwillig. Die Daten würden von der jeweiligen Gedächtnisambulanz erhoben, in der die Patienten behandelt werden.
„Ein Vorteil für die Patienten ist, dass sie besonders eng in die Wissenschaft eingebunden sind“, so Prof. Schulz. „Sie erfahren dann als erstes von neuen Erkenntnissen, die wir aus den Daten gewinnen.“ Die Daten des neuen Demenz-Registers werden regelmäßig ausgewertet – und gegebenenfalls aktuelle Empfehlungen für die Diagnose und Therapie herausgegeben.
Ein weiterer Vorteil für die Patienten: Im neuen Demenz-Register sollen auch die jeweiligen Medikamente erfasst werden. „Interessant sind derzeit für Alzheimer-Patienten vor allem Wirkstoffe, die in frühen Erkrankungsphasen auf die Entfernung des Proteins Beta-Amyloid abzielen“, sagt Prof. Kathrin Reetz. „Es liegt die Hypothese nahe, dass die Entfernung dieser Eiweißstoffe den kognitiven Verfall verlangsamen kann.“ Kürzlich wurde in den USA mit Aducanumab ein neues Medikament zur Behandlung von Alzheimer zugelassen, das genau dies können soll: nämlich die Amyloid-Plaques abbauen.
Neues Alzheimer-Medikament wird geprüft
Derzeit prüft die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA), ob es auch für Europa zugelassen werden soll. Wie die EMA entscheiden wird, gilt als offen, denn die Datenlage ist nicht einfach. Prof. Kathrin Reetz: „Der Einsatz von Aducanumab ist durchaus umstritten und sollte mit strenger Indikation erfolgen.“ Nötig wäre der Nachweis der Amyloidablagerungen zum Beispiel im Nervenwasser oder durch Amyloid-Bildgebung bei Patienten mit einer frühen Alzheimer-Erkrankung.
„Auch sollte es eine engmaschige Kontrolle potenzieller Nebenwirkungen geben“, ergänzt Prof. Reetz. Bisherige Ergebnisse würden zeigen, dass das Medikament offenbar das Beta-Amyloid auswaschen kann, aber es bei einigen Patienten auch zu Nebenwirkungen wie Blutungen und Wasseransammlungen (Ödemen) im Gehirn kommt.
Nebenwirkungen genau beobachten
Wenn man das Medikament eines Tages einsetzen wollte, so die Neurologin der Deutschen Hirnstiftung, sollte man die jeweiligen Patienten intensiv begleiten und „bei Verdacht auf solche Nebenwirkungen beispielsweise häufiger als bei anderen Patienten eine Magnetresonanztomographie (MRT) des Gehirns anfertigen“. Denn damit ließen sich bei Auftreten von Nebenwirkungen schnell die Blutungen und Ödeme nachweisen. So könne schnell gegengesteuert und die Therapie angepasst werden.
Im Deutschen Demenz Register können auch diese Nebenwirkungen erfasst werden. So lassen sich bei einem neuen Einsatz nicht nur im weiteren Verlauf Medikation, Wirkung und unerwünschte Nebenwirkungen aufnehmen und auswerten. Reetz: „Das gilt nicht nur für Aducanumab, sondern für alle weiteren potenziellen Therapien. Denn die klinische Studienlandschaft rundum Alzheimer ist so spannend wie noch nie.“ Verfolgt werden nicht nur Amyloid-vermittelte therapeutische Ansätze. Auch viele weitere Mechanismen werden intensiv erforscht.
Haben Sie Fragen? Wir helfen Erkrankten und Angehörigen neutral und kostenfrei im Online Chat und am Telefon 030 531 43 79 36. Mitglieder der Hirnstiftung werden bevorzugt beraten. Mehr erfahren
Bilder: fotopestka via canva.com
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