23.07.2021

World-Brain-Day am 22. Juli: Stopp MS!

Am 22. Juli 2021 ist Welttag des Gehirns. Im Interview erläutert Prof. Dr. Frank Erbguth, Präsident der Deutschen Hirnstiftung, seine große Bedeutung. „Der World-Brain-Day ist ein Weckruf“, sagt er. Denn neurologische Erkrankungen müssten sie viel stärker beachtet werden. Fast 60 Prozent der Bevölkerung seien in Deutschland davon betroffen.

Warum ist der World-Brain-Day so wichtig aus Ihrer Sicht?

Prof. Erbguth: Der World-Brain-Day ist eine große Chance, um weltweit das Bewusstsein für die Gesundheit des Gehirns zu stärken. Das Gehirn ist das bedeutendste Organ für uns Menschen. Es ist faszinierend komplex und verletzlich zugleich.

Wir alle träumen von einem langen und gesunden Leben. Doch jeder zweite Bundesbürger klagt im Laufe seines Lebens über neurologische Symptome wie Kopfschmerzen, Schwindel oder Nervenschmerzen. Die Nachricht, die wir Neurologinnen und Neurologen mit dem World-Brain-Day vermitteln wollen, ist: Die Gesundheit des Gehirns muss mit einer der höchsten Prioritäten weltweit und auch in Deutschland behandelt werden!

Es gibt keine Gesundheit ohne die Gesundheit des Gehirns. Die Gehirnfunktionen beeinflussen die Gesundheit des gesamten Menschen! Für uns Fachleute ist der Tag eine Chance, Informationen zu Vorbeugung, Behandlung und Forschung noch stärker in die Öffentlichkeit zu tragen.

Werden Krankheiten des Gehirns unterschätzt?

Prof. Erbguth: Ja, auf jeden Fall. Die Belastungen, die eine neurologische Erkrankung für den einzelnen Menschen oft mit sich bringen, werden weiterhin zu wenig beachtet. Krankheiten wie Multiple Sklerose, Parkinson, Migräne, Demenz oder Epilepsie können das Privat- und Berufsleben massiv einschränken, wenn sie nicht optimal behandelt werden.

Neurologische Erkrankungen stellen inzwischen die dritthäufigste Todesursache in Deutschland – nach Krebs und Herzkreislauferkrankungen. Gleichzeitig sind neurologische Erkrankungen immer noch mit einigen Tabus behaftet, denn es ist immer auch unsere Persönlichkeit betroffen.

„Stopp MS“ lautet das Motto des diesjährigen World-Brain-Day. Warum gerade dieses Thema?

Prof. Erbguth: In den vergangenen Jahren ist die Zahl der weltweit an Multipler Sklerose (MS) erkrankten Patienten stark gestiegen. Weltweit sind 2,8 Millionen Menschen betroffen. In Deutschland liegt die Zahl der MS-Erkrankten derzeit bei über 250.000 Menschen.

Bei der MS handelt es sich um eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die meistens zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr beginnt. Meist verläuft sie in Schüben und kann zu bleibenden neurologischen Einschränkungen führen. Viele Patienten bekommen daher einen Schreck, wenn sie die Diagnose MS erhalten. Aber sie bedeutet nicht das Ende eines glücklichen Lebens!

Das Motto „Stopp MS“ zeigt, dass die Krankheit zwar nicht geheilt, aber heute sehr gut ausgebremst werden kann. Jedoch schöpfen wir bisher oft nicht alle Möglichkeiten zur Behandlung eines MS-Patienten aus. Der World-Brain-Day möchte darauf aufmerksam machen, wie wichtig eine frühe Diagnose, ein zeitnaher Therapiebeginn und eine individuell angepasst Behandlung für den Erfolg sind.

Wir müssen unbedingt die schweren Schübe verhindern und dass die Entzündung voranschreitet. Das kann sonst zu einem Untergang von Nervenzellen im Gehirn führen.

Was ist in puncto MS denn schon erreicht worden?

Prof. Erbguth: Vor 20 Jahren hatten wir ein einziges Medikament, um Schübe zu unterdrücken. Heute stehen für MS-Patienten zahlreiche verschiedene Therapieoptionen zur Verfügung. Dank der intensiven MS-Forschung in den vergangenen Jahren können die Medikamente heute auch viel zielgerichteter und individueller eingesetzt werden. Und sie haben weniger Nebenwirkungen.

Mit den neuen Mitteln können wir dafür sorgen, dass die Krankheit seltener einen Schub auslöst und messbar weniger aktiv ist. Unter diesen neuen Mitteln sind viele sogenannte Immuntherapeutika, die die natürliche Abwehr des Körpers beeinflussen. Und die Forschung läuft weiter auf Hochtouren.

Vielleicht wird MS eines Tages sogar heilbar sein. Das wäre natürlich wunderbar, bis dahin wird es aber vermutlich noch etwas dauern. Doch schon jetzt können wir für jeden MS-Patienten individuell zu jedem Zeitpunkt der Erkrankung eine optimale Therapie finden.

Welche Tipps haben Sie für Betroffene?

Prof. Erbguth: Der World-Brain-Day will nicht zuletzt den Betroffenen Mut machen. Die Botschaft ist: Nie den Mut verlieren, MS kann heute gut behandelt werden! Die meisten Patienten können ein ganz normales Leben führen, privat und beruflich.

Es ist aber auch wichtig, die Krankheit ernst zu nehmen. Einige der meist jüngeren Betroffenen wollen lieber abwarten – vor allem, wenn sie aktuell keine Beschwerden haben. Tatsächlich gibt es eine gutartige MS. Aber es ist immer besser, zeitnah nach einer MS-Diagnose die Behandlung zu beginnen.

Wichtig ist daher, sich einen Neurologen zu suchen, zu dem man Vertrauen hat und mit dem man über alle Therapieoptionen reden kann. Möchten Betroffene noch abwarten, sollte sie das auf jeden Fall eng abgestimmt mit einem Neurologen tun. Denn der kann den Gesundheitszustand des Patienten gut überwachen – vor allem den Zustand der Nervenzellen im Gehirn.

Was können MS-Patienten noch tun?

Prof. Erbguth: Eine gesunde Lebensweise mit ausreichend Sport und gesunder Ernährung ist auch bei Multipler Sklerose sehr empfehlenswert. Rauchen kann die MS verschlechtern, wie Studien zeigen. Daher sollte man auf Nikotin verzichten. Es gibt Patienten, denen es hilft zu einer Selbsthilfegruppe zu gehen. Dort kann man sich mit Gleichgesinnten austauschen und gegenseitig unterstützen.

Wir von der Deutschen Hirnstiftung bieten eine umfassende Beratung für MS-Patienten an. Jede und jeder Betroffene kann sich an uns wenden und sich von einem unabhängigen Neurologen individuell beraten lassen. Wir bieten sowohl Telefonberatung als auch einen Experten-Chat an. Auf unserer Website haben wir auch zahlreiche Informationen zum Krankheitsbild Multiple Sklerose zusammengestellt.

Der World-Brain-Day

Dieser internationale Welt-Gehirn-Tag geht auf eine Initiative der World Federation of Neurology (WFN) zurück. Die WFN ist eine am 22. Juli 1957 in Brüssel gegründete internationale Gesellschaft, in der neurologische Gesellschaften aus der ganzen Welt vereinigt sind. Der World-Brain-Day fand erstmals 2014 statt und steht jedes Jahr unter einem anderen Motto. Das Datum, der 22. Juli, ist als historische Referenz an das Gründungsdatum der WFN im Jahre 1957 zu verstehen.

Haben Sie Fragen? Wir beraten Patienten und Angehörige neutral und kostenfrei im Online-Chat und am Expertentelefon. Mehr zu unseren Beratungsangeboten.

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