17.08.2020
Zu viel Fernsehen kann die Entstehung von Demenzen begünstigen
Geahnt hat man es ja schon lange, und zwar nicht nur wegen der Qualität des TV-Programms: Ein zu hoher Fernsehkonsum hält geistig nicht fit, sondern schadet: Bei über 3,5 Stunden täglich kann es zum Abbau des sogenannten verbalen Gedächtnisses kommen. Das wiederum ist oft auch bei Patienten mit Alzheimer-Demenz in Mitleidenschaft gezogen. Für die, die geistig fit bleiben wollen, gilt daher die Devise: Weniger (TV-)Konsum, mehr geistige und soziale Aktivität!
Im Frühjahr 2019 erregte eine britische Studie großes Aufsehen: Sie zeigte, dass ein hoher TV-Konsum von täglich mehr als 3,5 Stunden zum Abbau des verbalen Gedächtnisses führen kann. Beobachtet wurden 3.590 Studienteilnehmer, die zu Beginn der Studie über 50 Jahre alt waren (das durchschnittliche Alter betrug 67 Jahre) und zu diesem Zeitpunkt keine Demenz aufwiesen. Nach sechs Jahren wurden sie im Hinblick auf ihre kognitiven Fähigkeiten untersucht und zu ihren Fernsehzeiten befragt. Es zeigte sich ein „dosisabhängiger“ Effekt: Je mehr TV ein Teilnehmer schaute, desto mehr hatte das verbale Gedächtnis im Vergleich zum Ausgangswert abgebaut. Die kritische Schwelle waren 3,5 Stunden Fernsehkonsum pro Tag, weniger schadete offensichtlich nicht.
Nun könnte man meinen, ursächlich wäre vielleicht nicht das Fernsehschauen selbst, sondern der damit verbundene Bewegungsmangel, denn letztlich ist bekannt, dass Bewegungsmangel ein Risikofaktor für Demenz ist – und wer stundenlang vor der Glotze sitzt, hat natürlich kaum noch Zeit für Sport und lebt wahrscheinlich auch sonst ungesünder. Aber die britischen Studienautoren hatten ihr Ergebnis bereits gegen diesen „Störfaktor“ korrigiert, ebenso wie gegen Geschlecht, Alter, Beziehungsstatus, sozialen Stand, Tabak- und Alkoholkonsum sowie Vorliegen verschiedener Krankheiten wie Depression oder Gefäßerkrankungen. Sie zeigten, dass die abnehmende Leistung des verbalen Gedächtnisses mit dem TV-Konsum in Zusammenhang stand und das Studienergebnis nicht durch die genannten Begleitfaktoren verfälscht worden war.
Bleibt die Frage, was überhaupt das verbale Gedächtnis ist und wofür wir es brauchen. Im Prinzip beschreibt der Begriff die Fähigkeit, Sätze nicht nur zu hören, sondern zu verstehen, also deren Bedeutung zu erfassen. Ohne diese wichtige Form des Gedächtnisses wären wir nicht in der Lage, gesprochenen Aussagen Informationen zu entnehmen – verbale Kommunikation wäre dann kaum noch möglich, so wie man das z. B. bei Patienten mit weit fortgeschrittener Alzheimer-Demenz kennt.
Allerdings waren die Teilnehmer der britischen Studie nicht im Hinblick auf die Wortflüssigkeit („semantic fluency“) beeinträchtigt, die z. B. bei Alzheimer-Patienten ebenfalls stark reduziert ist. Verschiedene Experten kamen daher zu dem Schluss, dass zu viel Fernsehen eine ganz eigene Demenz-Form verursachen könnte, die sich wahrscheinlich von der Alzheimer-Demenz unterscheidet.
Die Studienautoren erklärten den kognitiven Abbau durch Fernsehen übrigens mit dem schnellen Wechsel von Sinneswahrnehmungen (Sehen und Hören) und der gleichzeitigen geistigen Passivität. Letztere ist in der Tat ein Risikofaktor, während man z. B. durch soziale Kontakte oder kreative Hobbys geistig beweglich bleibt. [Verlinkung zu „Gibt es ein Rezept zur Demenzprävention?]
Quelle:
Fancourt D, Steptoe A. Television viewing and cognitive decline in older age: findings from the English Longitudinal Study of Ageing. Nature Scientific Reportsvolume 9, Article number: 2851 (2019).
https://doi.org/10.1038/s41598-019-39354-4
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