Demenz-Prävention kann nicht früh genug beginnen, doch es ist nie zu spät, damit anzufangen. 12 Tipps für Menschen ab 45
Fast jede zweite Demenzkrankheit könnte verhindert werden – Insgesamt wird weltweit ein Anstieg an Demenzerkrankungen beobachtet. Das liegt zum einen an dem Zuwachs der Lebenserwartung, zum anderen aber auch daran, dass immer mehr Menschen weltweit einen ungesunden Lebensstil annehmen. Die Zahl der Demenzerkrankungen steigt bei uns in den Industrienationen nicht ganz so stark an wie z. B. in den Schwellenländern, möglicherweise auch, weil erste Präventionskampagnen greifen, die für einen gesunden Lebensstil werben. Doch auch hierzulande sind wir längst nicht am Ziel und es gibt viel zu viel ungenutztes Potenzial. Denn fast jede zweite Demenzkrankheit könnte verhindert werden. Auch wenn das Verhältnis „Anzahl der Erkrankten“/„Anzahl der älteren Bürgerinnen und Bürger“ etwas zurückgeht, sind wir noch weit von einer Halbierung der Neuerkrankungsrate entfernt. Die „Lancet Commission“ ergänzte aktuell kürzlich zwei neue Demenz-Risikofaktoren in ihrer Liste [1]. Das sind nach Ansicht von Prof. Dr. Kathrin Reetz, Präsidentin der Deutschen Hirnstiftung, zwei weitere neue Chancen, die man aktiv nutzen kann, um bis ins hohe Alter geistig fit zu bleiben.
Neuer Risikofaktor: Zu hohe LDL-Cholesterinwerte in den mittleren Lebensjahren
Das LDL-Cholesterin begünstigt Gefäßverkalkungen (Atherosklerose) und das Fortschreiten von Ablagerungen in den Gefäßen, da diese LDL-Transporter häufiger in der Arterienwand steckenbleiben und über chemische Reaktionen die Gefäßverkalkung in Gang bringen. Damit steigt das Risiko für Gefäßverengung und Herzinfarkt sowie für Schlaganfälle. Der Effekt ist langfristig: Viele Studien haben gezeigt, dass ein Zusammenhang zwischen hohem LDL-Cholesterin* und späterer Demenz besteht, aber auch Schlaganfall und Herzinfarkt. „Es gibt also viele Gründe, dies anzugehen – die zu hohen Cholesterinwerte können durch regelmäßige Bewegung und Sport sowie eine gesunde Ernährung schon gut gesenkt werden. Sollten diese Maßnahmen nicht ausreichen und möglicherweise noch weitere gefäß- oder stoffwechselbedingte Erkrankungen bestehen, sollten Medikamente, sog. Lipidsenker, verschrieben werden“, erklärt Prof. Reetz.
Neuer Risikofaktor: Abnehmende Sehkraft im hohen Alter
Die „Lancet Commission“ definierte noch einen weiteren Demenz-Risikofaktor, auf den man Einfluss nehmen kann, eine abnehmende Sehkraft im Alter. „Menschen, die im Alter nicht mehr gut sehen, verlassen aus Angst vor Stürzen häufig nicht mehr die Wohnung, was zur sozialen Isolation beiträgt. Oft fällt auch das Lesen, das Teilnehmen an Gesellschaftsspielen, Handarbeiten oder Bewegung schwer – alles Dinge, die den Kopf fit halten“, erklärt die Präsidentin der Deutschen Hirnstiftung. „Es ist daher wichtig, gerade bei betagten Menschen regelmäßig Sehtests durchzuführen und die Brillenstärke anzupassen.“
Insgesamt gibt es nun 14 Risikofaktoren
Insgesamt gibt es 14 Risikofaktoren für die Entwicklung einer Demenz im höheren Alter:
- Geringe Bildung
- Schwerhörigkeit
- Hohes LDL-Cholesterin
- Depression Hirntraumata (z. B. durch Kontaktsportarten)
- Bewegungsarmut
- Diabetes mellitus
- Rauchen
- Bluthochdruck
- Fettleibigkeit
- Exzessiver
- Alkoholkonsum
- Soziale Isolation
- Luftverschmutzung
- Verlust der Sehkraft
Wann sollte die Demenz-Prävention beginnen?
Möglichst früh! „Auch wenn die ‚Lancet Commission‘ nur einen der 14 Risikofaktoren, und zwar die geringe Bildung, in der Kindheit ansiedelt, sollte bereits im Kinder- und Jugendalter auf Bewegung, Vermeidung von Fettleibigkeit, Diabetes, Bluthochdruck und erhöhten Cholesterinwerten geachtet werden. Darüber hinaus sollten Kinder zum Sport animiert und vor Gehirnerschütterungen (z. B. immer Fahrradhelm tragen!) geschützt werden.
Insgesamt lässt sich aber sagen, dass die mittleren Lebensjahre zwischen 45 und 59 Jahren entscheidend für die Demenzprävention sind. Deswegen sollte die Prävention in jedem Fall ab Mitte 40 im Fokus stehen, denn hier lässt sich das Ruder noch herumreißen“, so Prof. Reetz. Durch die Optimierung und Behandlung der Risikofaktoren gelingt es, die dadurch bedingten Gefäßschäden, Stress- und Entzündungsprozesse zu vermindern, die geistige Funktions- und Leistungsfähigkeit des Gehirns (kognitive Reserve) zu stärken und zugrundeliegende Krankheitsmechanismen zu reduzieren. Durch dieses komplexe Zusammenspiel kann das Auftreten einer Demenz verhindert bzw. verlangsamt werden.
12 Tipps für einen hirngesunden Lebensstil, die man ab 45 Jahren beherzigen sollte
Aus der Liste der Risikofaktoren lassen sich ganz konkrete Tipps für den Alltag von Menschen ab 45 Jahren ableiten, mit denen sie das eigene Demenzrisiko deutlich reduzieren können:
- Regelmäßig einen Hörtest machen und bei Bedarf eine Schwerhörigkeit durch ein Hörgerät ausgleichen
- Auf eine cholesterinarme Ernährung achten. Regelmäßig im Rahmen der zweijährlichen „Check-up“-Untersuchungen, die die Krankenkassen empfehlen, das Cholesterin (insbesondere das LDL-Cholesterin) messen lassen. Bei einer krankhaften Erhöhung, die nicht mit diätetischen und körperlich aktiven Maßnahmen in den Griff zu bekommen ist, sollten lipidsenkende Medikamente (sog. Statine) erwogen werden, um den Cholesterinwert im Blut zu normalisieren. Sprechen Sie mit ihrer behandelnden Ärztin/ihrem behandelnden Arzt.
- Bei Schwermütigkeit und über Wochen anhaltender depressiver Stimmung mit der Hausärztin/dem Hausarzt sprechen. Eine Depression ist behandelbar!
- Hirntraumata vermeiden – bei Risikosportarten wie z. B. Boxen immer einen Kopfschutz tragen
- Kein Sport ist Mord! Zwei- bis dreimal pro Woche mindestens 30 Minuten Sport treiben.
- Bei der zweijährlichen Check-up-Untersuchung wird der Blutzucker gemessen. Wird ein Diabetes mellitus festgestellt, muss dieser medikamentös behandelt werden. Bei erhöhten Blutzuckerwerten kann man durch die Ernährung und durch regelmäßige Bewegung gegensteuern.
- Mit dem Rauchen aufhören. Viele Krankenkassen bieten Entwöhnungsprogramme an, auch Nikotinpflaster können übergangsweise helfen.
- Bei jedem Arztbesuch sowie bei jeder sich bietender Gelegenheit (z. B. Messaktionen in Apotheken etc.) den Blutdruck kontrollieren lassen. Liegen die Werte über 140/90 mm Hg muss der Blutdruck meistens medikamentös gesenkt werden. Ein erhöhter Blutdruck, der noch unter diesem Schwellenwert liegt, lässt sich oft durch einen gesünderen Lebensstil in den Griff bekommen.
- Wer übergewichtig ist, sollte eine Gewichtsreduktion anstreben. Viele Krankenkassen bieten ihren Versicherten dafür spezielle Coachings an, in denen sie eine Ernährungsberatung und Motivation für ein aktiveres Leben erhalten.
- Den Alkoholkonsum auf ein Minimum reduzieren. Alkohol ist ein Nervengift und richtet bei regelmäßigem Konsum irreparable Schäden an – auch im Gehirn.
- Raus aus der sozialen Isolation. Statt allein vor dem Fernseher zu sitzen oder im Internet zu surfen, gehen Sie unter Menschen. Ob Museumsbesuch, Lesung, Kaffeetrinken mit Freundinnen oder Sportverein: Immer, wenn Sie mit Menschen interagieren, ist das aktives Hirntraining.
- Regelmäßig einen Sehtest machen und bei Bedarf eine Fehlsichtigkeit durch eine Brille oder Kontaktlinsen ausgleichen.
„Alles in allem lässt sich daraus folgende Faustregel ableiten: Ernähren Sie sich gesund und bewegen Sie sich viel und regelmäßig (!), meiden Sie Alkohol und Zigaretten, suchen Sie soziale Kontakte und gehen Sie alle zwei Jahre zum hausärztlichen Check sowie zum Seh- und Hörtest, um mögliche Demenz-fördernde Erkrankungen frühzeitig zu erkennen und behandeln zu lassen. Das zahlt sich aus: Auf diese Weise halbieren Sie nicht nur Ihr Demenzrisiko, sondern senken auch gleichzeitig ihr Risiko für gefährliche Herz- und Gefäßerkrankungen oder Krebs“, erklärt Prof. Reetz.
*LDL-Cholesterin steht für Low-Density-Lipoprotein (LDL, niedrige Dichte) und HDL-Cholesterin für HighDensity-Lipoprotein (HDL, hohe Dichte) und zeigt die Dichte der Cholesterin-transportierenden Eiweiße an. Im Gegensatz zum HDL-Cholesterin spielt das LDL bei Gefäßerkrankungen eine zentrale Rolle. Das LDL-Cholesterin begünstigt Gefäßverkalkungen und das Fortschreiten von Ablagerungen in den Gefäßen, da diese LDLTransporter häufiger in der Arterienwand stecken bleiben und über chemische Reaktionen die Gefäßverkalkung in Gang bringen. In den meisten Studien wurde immer das Gesamtcholesterin erhoben, also LDL- und HDLCholesterin zusammen. Auch erhöhtes Gesamtcholesterin schien mit einem höheren Demenzrisiko einherzugehen.
Quellen
[1] Livingston G, Huntley J, Liu KY et al. Dementia prevention, intervention, and care: 2024 report of the Lancet standing Commission. Lancet. 2024 Jul 30:S0140-6736(24)01296-0. doi: 10.1016/S0140-6736(24)01296-0. Epub ahead of print. PMID: 39096926.
