Welt-AIDS-Tag 2022

Pressemitteilung

Zum Welt-AIDS-Tag am 1. Dezember möchte die Deutsche Hirnstiftung die Prävention in den Fokus rücken. Obwohl hochwirksame Medikamente heute HIV-Infizierten ein weitgehend normales Leben ermöglichen, stellt die lebenslange Therapie für Psyche und den Körper eine Belastung dar. Auch können noch immer nicht alle Komplikationen oder Folgen einer HIV-Infektion verhindert werden, beispielsweise neurologische Schäden – von…

Neurologische Komplikationen bei HIV sind oft schwer zu behandeln

Durch die Corona-Pandemie sind andere Viruserkrankungen in den Hintergrund geraten – haben aber im Hinblick auf ihre weltweite Krankheitslast nicht abgenommen wie das HI-Virus. Wie viele andere Viren geht auch HIV mit neurologischen Komplikationen einher. Es greift zwar primär Zellen des Immunsystems an, schädigt aber auch andere Zellen, darunter auch Nervenzellen.

Seit über 25 Jahren werden HIV-Infizierte mit einer sogenannten hochaktiven antiretroviralen Kombinationstherapie (HAART) behandelt. Diese HIV-Medikamente sind heute so effektiv, dass die HI-Viren im Blut bis unter die Nachweisgrenze reduziert werden können. Durch die Behandlung ist das Vollbild einer manifesten HIV-Infektion, die AIDS-Erkrankung, heute relativ selten geworden. Dennoch: von den an AIDS erkrankten Patientinnen und Patienten entwickelt ein Großteil neurologische Auffälligkeiten. Auch die das Virus zurückdrängende Therapie kann heute nicht alle HIV-assoziierten neurologischen Erkrankungen verhindern, selbst wenn sich nicht das Vollbild einer AIDS-Erkrankung entwickelt.

Beispielsweise kann es zur massiven HIV-assoziierten Demenz kommen, die im Spätstadium auch zur Lähmung von Armen und Beinen und zum völligen Rückzug und zur geistigen Erstarrung führen kann und tödlich endet. Ein Grund dafür ist, dass trotz HAART im Gehirn nicht immer ausreichend hohe Wirkspiegel der Medikamente erreicht werden.

Zwar ist die HIV-assoziierte Demenz deutlich seltener geworden, dennoch kann es zu Vorstufen kommen. Die Betroffen leiden dann unter leichteren kognitiven Einschränkungen wie Gedächtnis- und Konzentrationsproblemen. Psychomotorische Verlangsamung, Antriebsmangel, sozialer Rückzug, Depressivität und Apathie können hinzukommen. Später kann es aufgrund von zunehmenden Störungen von Exekutivfunktionen, intellektuellen Fähigkeiten und der Informationsverarbeitung zu Schwierigkeiten im Beruf und Alltagsleben kommen. Insgesamt ähnelt das Krankheitsbild einer Alzheimer-Demenz. Wie auch bei der „normalen“ Demenz ist Alter ein Risikofaktor – HIV-positive Menschen über 65 Jahre sind häufiger betroffen [1].

Wie für die altersbedingte Demenz gibt es auch für die HIV-assoziierte Demenz keine Therapie, die an den Ursachen angreift. Derzeit befinden sich verschiedene Medikamente in der klinischen Prüfung, um den Krankheitsverlauf zu verlangsamen. Dazu gehören Wirkstoffe, die die neuronale Entzündung reduzieren oder in den Stoffwechsel der Botenstoffe eingreifen und die bereits bei anderen neurologischen Erkrankungen wie der Multiplen Sklerose zum Einsatz kommen [2]. Ob sie die HIVassoziierte Demenz aufhalten können, ist derzeit allerdings noch unklar. Als wirksam haben sich usdauertraining (sog. aerobes Training) und Gedächtnistraining erwiesen – Betroffene können also etwas tun!

Eine weitere Komplikation ist die HIV-assoziierte Neuropathie. Dabei sind periphere Nerven sowie deren Isolationsschicht, die Myelinscheiden, geschädigt. Ursächlich ist entweder das Virus selbst oder es handelt sich um Nebenwirkungen der HIV-Medikamente. Es kommt zu aufsteigendem Kribbeln und/oder brennenden Missempfindungen/ Schmerzen in den Zehen und Füßen, bis hin zu Taubheit; vergleichbar beispielsweise mit der diabetischen Polyneuropathie. Was harmlos klingt, kann die Lebensqualität deutlich vermindern, im Vollbild auch Gang und Balance stark beeinträchtigen.

Eine aktuelle Studie [3] zeigte nun, dass Betroffene im Hinblick auf diese Symptome von einem Krafttraining profitieren. Zur Wirksamkeit der medikamentöse Erstlinientherapie mit Pregabalin und Gabapentin gibt es hingegen noch wenig Daten [4]. Interessant ist zudem eine aktuelle Studie [5], die zeigte, dass die Neuropathie oft ein Risikofaktor für den kognitiven Abbau darstellt – ein Zusammenhang, der bei Menschen ohne HIV nicht besteht bzw. noch nicht untersucht wurde.

Zu den schwersten neurologischen Komplikationen einer HIV-Infektion gehören HIV-assoziierte Lymphome des zentralen Nervensystems. Typische Symptome sind Krampfanfälle, Bewusstseinsstörungen und Halbseitenlähmung. Insgesamt zeigt sich, dass das Gehirn bzw. Nervensystem sowohl durch direkten HI-Virusbefall als auch durch Immundefizienz-bedingte Erkrankungen wie Infektionen und Malignome betroffen sein kann, eine HIV-Infektion also oft zu neurologischen Symptomen, Begleit- und Folgekrankheiten führt.

„Zum Welt-AIDS-Tag möchte die Deutsche Hirnstiftung daher an die HIV-Prävention erinnern, die durchaus in Vergessenheit gerät“, erklärt Prof. Dr. Frank Erbguth, Präsident der Deutschen Hirnstiftung. „Gegen HIV gibt es keine Impfung, ‚Safer Sex‘ ist nach wie vor der einzige Schutz gegen eine Krankheit, die zwar kontrollierbarer geworden ist, letztlich aber zu massiven Einschränkungen der Lebensqualität und einer hohen neurologischen Krankheitslast führt. Das HI-Virus hat seinen Schrecken längst nicht verloren.“

Bei Fragen berät die Deutsche Hirnstiftung Betroffene kostenfrei online. Mitglieder erhalten zudem Beratung per Telefon und Video, zu rechtlichen Fragen sowie Krankheitsbewältigung. Mehr erfährt man dazu unter hirnstiftung.org/beratung oder am Telefon 030 531 437 936 (Mo-Fr, 10-14 Uhr).

Quellen

[1] Boonyagars L, Kiatsoongsong N, Winitprichagul S. HIV-Associated Dementia: Associated Factors and Characteristics of Cognitive Domain Abnormalities in Elderly People Living with HIV Treated with Highly Active Antiretroviral Therapy. Am J Trop Med Hyg. 2022 Oct 31:tpmd220234. doi: 10.4269/ajtmh.22-0234. Epub ahead of print. PMID: 36315995.
[2] Kolson DL. Developments in Neuroprotection for HIV-Associated Neurocognitive Disorders (HAND). Curr HIV/AIDS Rep. 2022 Oct;19(5):344-357. doi: 10.1007/s11904-022-00612-2. Epub 2022 Jul 22. PMID: 35867211; PMCID: PMC9305687.
[3] Yakasai AM, Maharaj S, Danazumi MS. Strength exercise for balance and gait in HIV-associated distal symmetrical polyneuropathy: A randomised controlled trial. South Afr J HIV Med. 2021 Oct 5;22(1):1268. doi: 10.4102/sajhivmed.v22i1.1268. PMID: 34858651; PMCID: PMC8603110.
[4] Egan KE, Caldwell GM, Eckmann MS. HIV Neuropathy-a Review of Mechanisms, Diagnosis, and Treatment of Pain. Curr Pain Headache Rep. 2021 Jul 8;25(8):55. doi: 10.1007/s11916-021-00971-2. PMID: 34236528.
[5] Ellis RJ, Sacktor N, Clifford DB, Marra CM, Collier AC, Gelman B, Robinson-Papp J, Letendre SL, Heaton RK; CNS Antiretroviral Therapy Effects Research (CHARTER) Study Group. Neuropathic pain correlates with worsening cognition in people with human immunodeficiency virus. Brain. 2022 Jun 30;145(6):2206-2213. doi: 10.1093/brain/awab462. PMID: 35773234; PMCID: PMC9630658.

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