In einer AOK-Umfrage aus dem Herbst 2024 [1] gaben 81 Prozent der Befragten an, im Vorjahr mindestes einmal Rückenschmerzen gehabt zu haben. In vielen Fällen führen die Rückenschmerzen auch zur Krankschreibung – eine Auswertung der Techniker Krankenkasse kam zu dem Ergebnis, dass versicherte Erwerbspersonen im Jahr 2023 durchschnittlich 2,8 Tage aufgrund von Rückenschmerzen krankgeschrieben waren – gegenüber 2022 war das ein leichter Anstieg von im Durchschnitt 0,2 Tagen [2]. „Zurückzuführen ist dieser Anstieg auch auf die Alterung der Gesellschaft“, erklärt Prof. Dr. Christian Maihöfner, Schmerz-Experte der Deutschen Hirnstiftung. „Denn mit fortschreitendem Alter geht die Muskulatur zurück, das betrifft vor allem die Rumpfmuskulatur, die ein wichtiger ‚Sparringspartner‘ der Wirbelsäule ist. Dieser Degenerationsprozess beginnt bereits ab dem 30. Lebensjahr und schreitet kontinuierlich voran, wenn nicht gegengesteuert wird. Angesicht des demografischen Wandels und einer oft sitzenden Tätigkeit vieler Erwerbstätiger ist es also wichtig, die Prävention von Rückenschmerzen frühzeitig in den Fokus zu rücken und insbesondere der Chronifizierung vorzubeugen.“
Wann ärztlichen Rat einholen?
Viele Rückenschmerzen stehen mit einem alterungsbedingten Muskelabbau in Verbindung. Man spricht auch von sogenannten unspezifischen Rückenschmerzen. Sie haben keine „spezifische“ Ursache wie einen Bruch, einen Tumor oder eine zugrundeliegende Krankheit, wie z. B. eine Borreliose, die oft mit Rückenschmerzen einhergeht. „Unspezifische Rückenschmerzen sind kein Notfall“, betont der Experte. „Gehen die Schmerzen aber nicht nach ein paar Tagen von selbst zurück oder kommen sie in regelmäßigen Abständen wieder, sollte ärztlicher Rat eingeholt werden, um eine Chronifizierung zu vermeiden.“ Wenn jedoch die Schmerzen nach einem Unfall oder Sturz auftreten oder wenn es zu Taubheit oder Lähmung in den Beinen kommt oder begleitend zum Rückenschmerz Fieber auftritt, muss immer sofort eine Ärztin/ein Arzt aufgesucht werden. Auch Menschen mit Krebserkrankungen, Infektionserkrankungen und Patientinnen und Patienten, die immunsupprimierende Medikamente einnehmen, sollten Rückenschmerzen ohne jede Verzögerung ärztlich abklären lassen.
Warnsignale für eine hohe Chronifizierungsgefahr: Häufiges Wiederauftreten der Schmerzen und psychische Begleiterkrankungen
In den meisten Fällen verschwinden die unspezifischen Rückenschmerzen nach einigen Tagen von allein wieder, aber bei etwa 7-10 % der Betroffenen hält der Schmerz über mindestens drei Monate dauerhaft an und ist chronisch geworden [3]. Bei einem Viertel der Menschen, bei denen Rückenschmerzen erstmalig aufgetreten sind, treten sie in Folge öfter wieder auf. Das ist bereits ein Warnsignal für eine Chronifizierung. „Spätestens dann ist es an der Zeit, konsequent Maßnahmen zur Stärkung der Rückengesundheit zu ergreifen“, erklärt der Neurologe. Auch gibt es weitere Faktoren, die das Risiko für chronische Schmerzen erhöhen, darunter Depressionen, Angsterkrankungen, Schlafstörungen und Stress [4]. Relativ neu ist die Erkenntnis, dass auch Einsamkeit zu chronischen Kreuzschmerzen beiträgt [5].
Auch Schonverhalten führt zu Chronifizierung
Ein häufiger Fehler ist, dass Menschen mit akuten Rückenschmerzen sich nicht ausreichend bewegen. „Doch man kann den Schmerz nicht ‚aussitzen‘“, erklärt Prof. Maihöfner. „Im Gegenteil: Durch Ruhe wird er stärker und am Ende chronisch. Liegen keine Ursachen wie ein Bruch, eine Tumorerkrankung oder eine vorausgegangene OP vor, sollten Betroffene sich nicht schonen, sondern bewegen.“ Um das zu ermöglichen, rät der Experte sogar zur vorübergehenden Einnahme von Schmerzmedikamenten. „Wir Ärztinnen und Ärzte raten grundsätzlich immer dazu, möglichst wenig freiverkäufliche Schmerzmittel einzunehmen. Doch bei akuten Rückenschmerzen, ist es besser, ein paar Tage lang Schmerztabletten einzunehmen und in Bewegung zu bleiben, als wegen der Schmerzen jede Bewegung zu meiden. Denn Bewegung ist die wirksamste Therapie gegen Rückenschmerzen.“
Vier, fünf Tage lang freiverkäufliche Schmerzmedikamente einzunehmen, hält der Experte für unbedenklich. „In der Regel sind die Schmerzen danach schon deutlich schwächer“. Wer dann immer noch so starke Schmerzen hat, dass er ohne Medikamente nicht auskommt, sollte ärztlichen Rat einholen. Einen Sonderfall stellen Menschen mit eingeschränkter Nierenfunktion dar, sie sollten sich von vornherein von einer Ärztin/einem Arzt ein nierenfreundliches Schmerzmittel verschreiben lassen.
Bewegung ist die beste Medizin – auch, damit die Schmerzen nicht chronisch werden
In Bewegung zu bleiben, hilft nicht nur bei akuten Rückenschmerzen, sondern stellt auch die beste Prävention dar. Ein aktiver, sportlicher Lebensstil beugt dem Muskelabbau vor. Für Menschen mit Rückenschmerzen bieten fast alle Krankenkassen spezielle Kurse wie Rückenschulen an, auch online. „Wichtig ist, daneben auch dauerhaft ein aktives Leben zu führen. Ein-, zweimal Sport zu treiben, bewirkt noch keine Wunder. Wer sich aber konsequent über Jahre mehrmals pro Woche sportlich betätigt, kann den Rückenschmerz beherrschen und wird nicht von ihm beherrscht.“
Daneben sei es wichtig, auch mögliche, andere Risikofaktoren, die eine Chronifizierung begünstigen, zu adressieren. Wer z. B. viel Stress hat und merkt, dass die Rückenschmerzen damit in Zusammenhang stehen, sollte Strategien zur Stressreduktion in das Leben integrieren. Das reicht von Überlegungen, bei der Arbeit kürzer zu treten, bis hin zum Erlernen von Entspannungstechniken. Gleiches gilt für den Risikofaktor Einsamkeit. Auch hier gibt es Möglichkeiten entgegenzuwirken, z. B. durch eine aktive Vereinsmitgliedschaft oder Ehrenamtsarbeit. „Ebenso sollten zugrundliegende psychische Krankheiten wie Depressionen oder Angststörungen in den Blick genommen und behandelt werden, um einer Chronifizierung der Schmerzen entgegenzuwirken“, so Maihöfner abschließend. „Wenn Rückenschmerzen erstmals ‚grundlos‘ auftreten, ist das ein klares Signal, dass es an der Zeit ist, sein Leben zu ändern und aktiv in die eigene Rückengesundheit zu investieren.“
Quellen
[1] Pressemitteilung: AOK-Umfrage: 81 Prozent der Bevölkerung „haben Rücken“. 14.10.2024. https://www.aok.de/pp/bv/pm/aok-umfrage-81-prozent-der-bevoelkerung-haben-ruecken/
[2] Pressemitteilung: Fehltage wegen „Rücken“ steigen leicht. 13.03.2024. https://www.tk.de/presse/themen/praevention/gesundheitsstudien/fehltage-2023-rueckenbeschwerden2168354
[3] Cegla T, Benscheid H. Rückenschmerzen: Mögliche Ursachen und Therapieoptionen. MMW Fortschr Med. 2022 Nov;164(Suppl 3):62-69. German. doi: 10.1007/s15006-022-1873-0. PMID: 36413297; PMCID: PMC9684846.
[4] Rouached L, Ben Messaoud M, Bjeoui T, et al AB0155 SLEEP AND ANXIETY-DEPRESSIVE DISORDERS IN CHRONIC LOW BACK PAIN PATIENTS Annals of the Rheumatic Diseases 2024;83:1312.
[5] Noguchi T, Ikeda T, Kanai T, Saito M, Kondo K, Saito T. Association of Social Isolation and Loneliness With Chronic Low Back Pain Among Older Adults: A Cross-sectional Study From Japan Gerontological Evaluation Study (JAGES). J Epidemiol. 2024 Jun 5;34(6):270-277. doi: 10.2188/jea.JE20230127. Epub 2024 Mar 31. PMID: 37690817; PMCID: PMC11078594.
