Für die meisten Menschen ist es ein großer Einschnitt, nicht mehr selbst Auto fahren zu dürfen. Man verliert nicht nur an Mobilität und Bequemlichkeit, sondern auch an Selbstwert und Lebensgefühl: Autofahren steht noch immer für Unabhängigkeit und Freiheit.
Kein Wunder also, dass sich Menschen damit schwertun, nach einer Krankheit ihre Fahrtauglichkeit zu hinterfragen. Sie hoffen, dass das Thema bei der Ärztin oder beim Arzt nicht zur Sprache kommt, und wollen selbst keine schlafenden Hunde wecken. Wenn Angehörige oder Freunde nachfragen, ernten sie oft großen Unmut, so dass diese das Thema lieber gar nicht mehr anschneiden.
Doch was viele Betroffene und Angehörige nicht wissen: Laut Strafgesetzbuch (StGB) § 315c „Gefährdung des Straßenverkehrs“ machen sich alle strafbar, die ein Fahrzeug führen, obwohl sie infolge geistiger oder körperlicher Mängel nicht in der Lage sind, es sicher zu führen. Das gilt nicht erst, wenn sie einen Unfall verursachen, sondern allein dadurch, dass sie Leib und Leben anderer gefährden – und diese Gefahr in Kauf nehmen, wenn sie sich hinter das Steuer setzen.
Der Gesetzgeber verpflichtet alle Bürgerinnen und Bürger, Vorsorge für eine sichere Teilnahme am Straßenverkehr zu treffen, um andere nicht zu gefährden (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, § 2 „Eingeschränkte Zulassung“). Im Klartext bedeutet das: Wer an einer Krankheit leidet, die die Fahrtauglichkeit einschränken kann, muss regelmäßig seine Fahreignung überprüfen lassen. Und das gilt nicht nur für berufstätige Fahrer, also LKW-, Bus- oder Taxifahrer, sondern auch für alle, die privat Auto fahren wollen.
Neurologische Erkrankungen oder eingenommene Medikamente können auf dreierlei Weise die Fahrtauglichkeit einschränken: (1) durch Beeinträchtigungen der Beweglichkeit, (2) der kognitiven Fähigkeiten und Sinneswahrnehmungen, insbesondere der Aufmerksamkeit, oder (3) durch ein hohes Wiederholungsrisiko von Akuterkrankungen wie Epilepsie oder Schlaganfall.
„Es gilt das Prinzip der Selbstverantwortung“, betont Prof. Dr. Frank Erbguth, Präsident der Deutschen Hirnstiftung. „Die Patientinnen und Patienten stehen als mündige Bürgerinnen und Bürger in der Pflicht und können sich nicht darauf berufen, dass die behandelnden Ärztinnen und Ärzte von sich aus kein Fahrverbot ausgesprochen hätten.
Denn die können sich oft nicht vorstellen, dass ihre zum Teil schwerstbeeinträchtigten Patientinnen und Patienten Ambitionen hatten, sich hinters Steuer zu setzen – und sind häufig überrascht, wenn sie davon erfahren. Umgekehrt ‚überhören‘ viele Menschen auch den gut gemeinten Rat der Ärztin und des Arztes, nicht mehr Auto zu fahren oder zumindest die Fahrtauglichkeit prüfen zu lassen – denn der ärztliche Rat ist zunächst juristisch nicht bindend.“
Grundsätzlich gibt es nur wenige neurologische Krankheiten, die immer ein Fahrverbot nach sich ziehen, dazu zählen z. B. eine schwere Demenz oder häufige epileptische Anfälle. Bei den meisten neurologischen Erkrankungen, auch nach einem Schlaganfall, wird die Entscheidung individuell gestellt, ob der/die Betroffene fahrtauglich ist bzw. ob und welche Hilfsmittel zum Einsatz kommen müssen, um die (motorischen) Einschränkungen auszugleichen.
Bei fortschreitenden Erkrankungen wie Parkinson ist es zudem wichtig, die ärztliche Überprüfung der Fahrtauglichkeit in regelmäßigen Abständen zu wiederholen. Denn die motorischen Behinderungen, kognitiven Einschränkungen und Sehstörungen nehmen im Verlauf der Erkrankung zu. Umgekehrt kann aber auch der Einsatz von Medikamenten beeinträchtigende Symptome lindern und eine Verbesserung herbeiführen, doch oft führen die Medikamente auch zu Nebenwirkungen, die wiederum die Fahrtüchtigkeit einschränken können.
Das macht die regelmäßige Abklärung bei Menschen mit chronischen neurologischen Erkrankungen so wichtig. Der Gesetzgeber hat festgelegt, in welchen Abständen diese bei welcher Krankheit erfolgen müssen, bei der ersten „bestandenen“ Fahrtauglichkeitsprüfung wird den Betroffenen mitgeteilt, wann sie sie sich wieder vorstellen müssen. Die Grundlagen der Beurteilung sind in den „Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung“ der Bundesanstalt für Straßenwesen geregelt.
Wie geht man also vor, wenn man eine neurologische Diagnose erhält? Prof. Erbguth rät allen, die von einer neurologischen Erkrankung betroffen sind, offen mit der behandelnden Ärztin/dem behandelnden Arzt über die eigene Fahrtauglichkeit zu reden. Wenn die ärztliche Beurteilung im konkreten Fall schwierig ist, empfiehlt der Arzt/die Ärztin manchmal eine freiwillige Fahrprobe mit einem Fahrlehrer, um die medizinische Ersteinschätzung durch praktische Beobachtungen zu untermauern. Bei Zweifeln an der Fahrtüchtigkeit rät er/sie dann zur Fahreignungsprüfung im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU).
Während die ärztliche Feststellung der mangelnden Fahreignung rechtlich nicht bindend ist – im Sinne eines rechtswirksamen Verbots – ist ein behördlich ausgesprochenes Fahrverbot juristisch bindend. Deswegen meiden viele Patientinnen und Patienten diesen Schritt. „Dennoch ist es kurzsichtig, die ärztlichen Empfehlungen zu ignorieren oder sich um dieses Prozedere herumzumogeln. Passiert ein Unfall, kann im Nachgang eine Fahrtauglichkeitsprüfung angeordnet werden, mitunter wird auch die ärztliche Schweigepflicht außer Kraft gesetzt. Wenn keine Fahrtauglichkeit besteht, hat sich der Betroffene strafbar gemacht und bleibt am Ende auch auf den Unfallkosten sitzen. Dann kann man noch von Glück reden, wenn es nur ein Blechschaden war …“, so Prof. Erbguth.
