Einsamkeit und neurologische Krankheiten: Ein Teufelskreis, der sich durchbrechen lässt

Pressemitteilung

Weihnachten steht vor der Tür – doch vielen Menschen wird spätestens am Fest der Liebe ihre eigene Einsamkeit allzu schmerzhaft bewusst. Die Deutsche Hirnstiftung erinnert daran, dass Einsamkeit nicht nur ein soziales Problem ist, sondern auch eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die Gesundheit hat, und zwar insbesondere auch für die Hirngesundheit. Einfach auf den…

Einsamkeit als neurologischer Risikofaktor – Einsamkeit ist ein gesundheitlicher Risikofaktor und kann Krankheiten auslösen: So gehen allein 5 % aller Demenz-Erkrankungen, in Deutschland sind das insgesamt ca. 20.000 von 400.000 neue Fälle pro Jahr, auf das Konto der sozialen Isolation [1]. Sie stellt somit ein größeres Risiko für die kognitive Gesundheit dar als Hirntraumata, exzessiver Alkoholgenuss oder Fettleibigkeit.

Aber auch andere neurologische Krankheiten können durch Einsamkeit begünstigt werden: Eine aktuelle Studie der Harvard Universität in Boston zeigte, dass langanhaltende Phasen des Alleinseins bei US-Veteranen die Schlaganfallrate um 56 % erhöhte [2]. Wie die Autorinnen und Autoren der Arbeit betonen, könne Einsamkeit über körperliche, verhaltensbedingte und psychosoziale Mechanismen zum Anstieg des Schlaganfallrisikos führen: zu den körperlichen zählt z. B., dass einsame Menschen häufiger Bluthochdruck oder ein aktiviertes Stresshormonsystem haben, beides erhöht das Schlaganfallrisiko. Aber auch psychosoziale Faktoren, wie das Vorliegen einer Depression, können die Entstehung von Schlaganfällen begünstigen [3].

Zu den verhaltensbedingten Mechanismen gehören ungesunde Lebensweisen, die bei einsamen Menschen meistens häufiger anzutreffen sind. Dazu zählen z. B. eine geringe Medikamententreue, weniger Schlaf, ein höherer Tabak- oder Alkoholkonsum. Gerade erst zeigte eine Studie aus Dänemark, dass Einsamkeit und Gesundheitskompetenz, also das Wissen darüber, wie man gesund lebt und die Fähigkeit, dieses Wissen auch umzusetzen, bei 18- bis 65-jährigen und körperlich inaktiven Menschen eng zusammenhängen: je einsamer, desto geringer war die Gesundheitskompetenz [4].

„Bei fast all diesen Faktoren stellt sich allerdings die Henne-Ei-Frage: Trinke ich mehr Alkohol, weil ich einsam bin, oder bin ich einsam, weil ich so viel Alkohol trinke?“, erklärt der Präsident der Deutschen Hirnstiftung Prof. Dr. Frank Erbguth. „Die Zusammenhänge sind sehr vielschichtig und bidrektional.“

Einsamkeit in Folge von neurologischen Krankheiten

Diese Vielschichtigkeit zeigt sich auch daran, dass Einsamkeit nicht nur Risikofaktor, sondern oft auch Folge einer neurologischen Erkrankung ist. Die Gründe liegen auf der Hand: Neurologische Patientinnen und Patienten haben häufig körperliche Einschränkungen und sind nicht mehr so mobil. In einigen Fällen ist auch die Sprache als wichtiges Kommunikationsmittel beeinträchtigt – oder sogar die kognitiven Fähigkeiten. Erschwerend hinzu kommen Arbeitsverlust und finanzielle Sorgen. Die Betroffenen können oft nicht mehr wie früher am sozialen Leben teilnehmen, manche ziehen sich auch aus Angst oder Scham bewusst zurück. „Einsamkeit ist also eine indirekte Krankheitsfolge. Wir wissen aus Studien [5, 6], dass z. B. Schlaganfall-Patientinnen und -Patienten sich isoliert und einsam fühlen. Sie beschrieben ein Gefühl der ‚Identitätslosigkeit‘ im sozialen Umfeld, das durch das Gefühl, anders zu sein als die Menschen um sie herum, verstärkt wird“, erklärt der Neurologe und Psychologe Frank Erbguth.

Einer ganz aktuellen Studie [7] zufolge kann Einsamkeit sogar auch eine direkte, rein physiologische Krankheitsfolge sein: Eine Studie aus Großbritannien untersuchte Hirnbildgebungs- und Verhaltensdaten von 209 Schlaganfallüberlebenden. Im Ergebnis zeigte sie einen Zusammenhang zwischen der Schädigung der rechten Hirnhälfte, die an der Verarbeitung von Emotionen beteiligt ist, mit einer Verstärkung von Einsamkeit. Insbesondere Schlaganfälle, welche den sog. Insellappen der rechten Hirnhälfte (rechte vordere Inselregion) betrafen, führten zu einer Beeinträchtigung der sozialen Interaktionsfähigkeit des Gehirns und der positiven Wahrnehmung von sozialen Kontakten. „Auch an diesem Aspekt der Beeinträchtigung der sozialen Kompetenz müssen perspektivisch rehabilitative Maßnahmen ansetzen.“

Einsamkeit und neurologische Krankheiten: Ein fataler Teufelskreis, aus dem man ausbrechen kann

„Ob unmittelbare körperliche oder indirekte Krankheitsfolge: Einsamkeit ist Gift für die Genesung“, erklärt Prof. Erbguth. „All die Gründe, die Einsamkeit zu einem gesundheitlichen Risikofaktor machen, treffen auch auf die Einsamkeit in Folge einer Krankheit zu und erschweren die anderen Maßnahmen der Sekundärprävention.“ Der Experten führt als Beispiel die Demenz an: Betroffene, die einsam sind, haben weniger geistige Stimulation, was wiederum das Fortschreiten der Krankheit begünstige.

Wichtig sei also, den Teufelskreis zu durchbrechen und soziale Beziehungen aufrecht zu erhalten bzw. nach Möglichkeit auszubauen. Gerade Selbsthilfegruppen leisten hier einen wichtigen Beitrag. Neben sozialer Interaktion, Erfahrungsaustausch und Unterstützung geben sie auch die Möglichkeit zur sozialen Identifikation mit einer Gruppe, wie eine aktuelle britische Studie zeigte [8]. „Das ist gerade dann wichtig, wenn durch die Krankheit andere soziale Gruppen wegbrechen, denen man sich zugehörig fühlte, z. B. dem Arbeitskollegenkreis oder der Fußballmannschaft“, so Erbguth. „Viele können also aktiv etwas gegen die Gefahr der Vereinsamung und damit für ihre Gesundheit tun.“

Gegen die Einsamkeit, für die Hirngesundheit: Angebote der Deutschen Hirnstiftung

Auch die Deutsche Hirnstiftung unterstützt beim Kampf gegen Einsamkeit. Sie fördert z. B. bundesweit Sport- und Freizeitaktivitäten von Selbsthilfegruppen. Passend zur Vorweihnachtszeit hat sie einen Kochkurs für und mit Betroffenen organisiert. Das Video (https://hirnstiftung.org/2024/12/kochen-verbindet-trotz-neurologischer-einschraenkungen/#video ) lädt nicht nur zum Nachkochen ein, es zeigt auch, was Menschen trotz körperlicher Einschränkungen in der Gruppe zusammen erreichen können. Wie viel das bedeuten kann, brachte eine Teilnehmerin auf den Punkt: „Der Kochkurs brachte Erinnerungen an früher zurück und hat gezeigt, dass die Grenzen noch nicht ausgelotet sind. Dass es sich lohnt, immer wieder was zu wagen.“

Quellen

[1] Livingston G, Huntley J, Liu KY, Costafreda SG, Selbæk G, Alladi S, Ames D, Banerjee S, Burns A, Brayne C, Fox NC, Ferri CP, Gitlin LN, Howard R, Kales HC, Kivimäki M, Larson EB, Nakasujja N, Rockwood K, Samus Q, Shirai K, Singh-Manoux A, Schneider LS, Walsh S, Yao Y, Sommerlad A, Mukadam N. Dementia prevention, intervention, and care: 2024 report of the Lancet standing Commission. Lancet. 2024 Aug 10;404(10452):572-628. doi: 10.1016/S0140-6736(24)01296-0. Epub 2024 Jul 31. PMID: 39096926.
[2] Soh Y, Kawachi I, Kubzansky LD, Berkman LF, Tiemeier H. Chronic loneliness and the risk of incident stroke in middle and late adulthood: a longitudinal cohort study of U.S. older adults. EClinicalMedicine. 2024 Jun 24;73:102639. doi: 10.1016/j.eclinm.2024.102639. PMID: 39403677; PMCID: PMC11472377.
[3] Dong JY, Zhang YH, Tong J, Qin LQ. Depression and risk of stroke: a meta-analysis of prospective studies. Stroke. 2012 Jan;43(1):32-7. doi: 10.1161/STROKEAHA.111.630871. Epub 2011 Oct 20. PMID: 22020036.
[4] Sarmanlu D, Heuck IR, Maindal HT, Lim MH, Ryom K. Health literacy and loneliness among physically inactive Danes aged 18-65: a cross-sectional study. Front Public Health. 2024 Oct 30;12:1386591. doi: 10.3389/fpubh.2024.1386591. PMID: 39540088; PMCID: PMC11557456.
[5] Byrne C, Saville CWN, Coetzer R, Ramsey R. Stroke Survivors Experience Elevated Levels of Loneliness: A Multi-Year Analysis of the National Survey for Wales. Arch Clin Neuropsychol. 2022 Feb 23;37(2):390-407. doi: 10.1093/arclin/acab046. PMID: 34189561; PMCID: PMC8865190.
[6] Yang K, Armstrong N, Diamond C, Lane AR, Dunne S. The meaning of loneliness to stroke survivors: A qualitative study in Northeast England. J Health Psychol. 2022 Sep;27(11):2539-2548. doi: 10.1177/13591053211017198. Epub 2021 Nov 12. PMID: 34772297; PMCID: PMC9483675.
[7] O’Connell K, Marsh AA, Seydell-Greenwald A. Right hemisphere stroke is linked to reduced social connectedness in the UK Biobank cohort. Sci Rep. 2024 Nov 8;14(1):27293. doi: 10.1038/s41598-024-78351-0. PMID: 39516519; PMCID: PMC11549225.
[8] Hollands L, Calitri R, Haslam C, Lamont RA, Mounce L, Tarrant M. A UK national cross-sectional survey of stroke support groups: exploring the role of social identification and group processes in reducing loneliness. BMC Public Health. 2024 Oct 29;24(1):2992. doi: 10.1186/s12889-024-20432-w. PMID: 39472883; PMCID: PMC11520689.

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