Die Deutsche Hirnstiftung empfiehlt das Spielen eines Musikinstrumentes zur Demenzprävention

Pressemitteilung

Bei der Demenztherapie hat die Musiktherapie bereits einen festen Platz. Nun zeigte eine neue Studie aus der Kognitionsforschung die Bedeutung des aktiven Musizierens für die Demenzprävention. Das Spielen eines Instrumentes kann kognitive Alterungsprozesse sowie das Risiko für die Entwicklung einer Alzheimer-Demenz vermindern oder das Auftreten hinauszögern – vermutlich durch die Verbesserung der sogenannten kognitiven Reserve.…

Eine aktuelle Studie [1] hat gezeigt, dass das Spielen eines Musikinstruments mit deutlich besseren Gedächtnisleistungen verbunden ist. Es handelt sich um eine Studie innerhalb der longitudinalen PROTECT-UK-Kohorte zur Bewertung der kognitiven Funktionen bei Erwachsenen im Alter über 40 Jahren. Anhand des ELMEQ-Fragebogens („Edinburgh Lifetime Musical Experience Questionnaire“) wurden musikalische Erfahrung und Beschäftigung mit Musik im bisherigen Leben erfasst. Die kognitive Leistung wurde mithilfe eines computergestützten Testsystems auf der PROTECTStudienplattform ermittelt. Die Analyse ergab einen klaren, signifikanten Zusammenhang: Das Spielen eines Musikinstruments war mit einem besseren Kurzzeit- bzw. Arbeitsgedächtnis und Exekutivfunktionen verbunden. Auch Gesang war signifikant positiv mit exekutiven Funktionen sowie allgemeine musikalische Fähigkeiten mit dem Arbeitsgedächtnis assoziiert. Für bloßes Musikhören fand sich hingegen kein Benefit im Hinblick auf die Demenzprävention, andere Studien legten aber einen positiven Effekt auf verschiedene Symptome (z. B. bei Unruhe bei Demenz) nahe. Die Studienautoren sehen mit ihrer Erhebung frühere Untersuchungen bestätigt, denen zufolge aktives Musizieren während des gesamten Lebens die kognitiven Reserven fördert.

Unter kognitiver Reserve versteht man die Fähigkeit unseres Gehirns, bei zerebralen Beeinträchtigungen (Erkrankungen, Traumata oder Alterungsprozesse) kognitive Funktionen aufrechtzuerhalten bzw. zu kompensieren. Die Bedeutung kognitiver Reserven wird angesichts der weltweit dramatisch steigenden Demenzzahlen immer wichtiger: Zurzeit leben in Deutschland 1.798.000 (Stand 12/2021 [2]) Menschen (≥65 Jahren) mit Demenz, bis 2033 lassen Hochrechnungen eine Betroffenenzahl von bis zu 2 Millionen Menschen erwarten! Das Risiko einer Demenzerkrankung steigt mit dem Alter deutlich an und liegt bei den über 90-Jährigen bei etwa einem Drittel.

Demenzen gehören zu den chronischen neurodegenerativen Erkrankungen; sie werden nach den auslösenden Krankheitsmechanismen eingeteilt. Etwa zwei Drittel aller Demenzerkrankungen entfallen auf die Alzheimer-Krankheit, gefolgt von den vaskulären Demenzen (z. B. durch Gefäßrisikofaktoren wie Bluthochdruck) mit 15 bis 20 %. Die restlichen Fälle verteilen sich auf Mischformen und andere seltene Demenzerkrankungen [3].

Bei der Alzheimer-Demenz liegt ursächlich vor allem eine Abbaustörung des Proteins Amyloid-beta (Aβ) vor. Trotz des relativ guten wissenschaftlichen Verständnisses über die Alzheimer-Pathologie gibt es bis heute keine Heilung oder kausale Therapie. Bisherige antidementiv wirksame Medikamente können die Kognition nur in sehr begrenztem Maße bessern oder eine Verschlechterung verlangsamen. Zwar sind Antikörper-Therapien gegen Amyloid in einigen Ländern schon zugelassen, aber auch sie können das Fortschreiten der Alzheimer-Erkrankung nur verlangsamen, sie aber nicht heilen.

Demenzprävention muss und wird zukünftig an Bedeutung gewinnen – insbesondere, da inzwischen mehr als zehn sogenannte modifizierbare Demenzrisikofaktoren nachgewiesen wurden, deren Beseitigung/Behandlung fast 40% aller Demenzfälle verhindern könnte. Dazu gehören Bildung sowie gesunde Ernährung, körperliche Bewegung, soziale und geistige Aktivität [4]. Wichtige behandelbare Demenz-Risikofaktoren sind auch Schwerhörigkeit und Depressionen. Auch wiederholte SchädelHirn-Traumata rücken in letzter Zeit in den Fokus der Demenzforschung (hier sollten vorbeugende Maßnahmen, z. B. das Tragen von Fahrradhelmen, inzwischen selbstverständlich sein).

Möglicherweise könnte nun die aktuelle Studie bald dazu führen, dass auch das Musizieren bzw. Spielen eines Instrumentes in die Liste der Maßnahmen zur Demenzprävention aufgenommen wird. Auch in einer großen Metaanalyse von prospektiven Kohortenstudien [5] war das Spielen eines Musikinstruments bei älteren Erwachsenen signifikant mit einem um 46 % (HR 0,64) geringeren Demenzrisiko verbunden.

Der biologische Zusammenhang zwischen dem Spielen eines Musikinstruments bzw. aktiver Beschäftigung mit Musik und dem Demenzrisiko wird von den Autorinnen und Autoren der genannten Arbeiten in erster Linie in der intellektuellen Herausforderung gesehen – vergleichbar anderen Lebensstilfaktoren und Freizeitaktivitäten, die das Gehirn aktiv halten. Beim Musizieren koordiniert das Gehirn kognitive, emotionale und motorische Abläufe. Körperliche und geistige Aktivität spielen insgesamt eine Schlüsselrolle bei der Gesundheitsprävention, gerade auch gegen Demenz, denn sie fördern lebenslang den Aufbau der kognitiven Reserve, stimulieren die Gehirnplastizität und Gehirnnetzwerke, verbessern exekutive Funktionen sowie das Gedächtnis – und machen unser Gehirn widerstandsfähiger gegen kognitive Beeinträchtigungen und Abbau im Alter. Das Musizieren in Gruppen fördert zudem Sozialkontakte.

Aufgrund der zunehmenden Datenlage empfiehlt die Deutsche Hirnstiftung allen Menschen zum Erhalt der kognitiven Gesundheit, ein Musikinstrument zu erlernen oder in einem Chor mitzusingen. Es handelt sich um eine Lebensstilentscheidung mit potenziell großer Wirkung, die im Optimalfall schon in der Kindheit beginnen kann, aber auch bei öffentlichen Gesundheitsinterventionen zur Reduzierung des kognitiven Alterns und Demenzrisikos berücksichtigt werden sollte. Dabei kommt es nicht auf Perfektion an, sondern auf die fortgesetzte aktive Beschäftigung mit Musik bis ins spätere Leben; für einen Neubeginn oder die Wiederaufnahme eines früher gespielten Instrumentes ist es dabei nie zu spät!

Quellen

[1] Vetere G, Williams G, Ballard C, Creese B, Hampshire A, Palmer A, Pickering E, Richards M, Brooker H, Corbett A. The relationship between playing musical instruments and cognitive trajectories: Analysis from a UK ageing cohort. Int J Geriatr Psychiatry. 2024 Feb;39(2):e6061. doi: 10.1002/gps.6061. PMID: 38281509.
[2] Blotenberg I, Hoffmann W, Thyrian JR. Demenz in Deutschland: Epidemiologie und Präventionspotenzial. Dtsch Arztebl Int 2023; 120: 470-6; DOI: 10.3238/arztebl.m2023.0100
[3] Berlit, Peter. Memorix Neurologie. 4. Auflage © 2006 Georg Thieme Verlag KG, ISBN-13: 978-3131400949, Print ISBN: 9783131400949; Online ISBN: 9783131915948; Buch-DOI: 10.1055/b-002-54096 DOI: 10.1055/b0034-55115 https://www.thieme-connect.de/products/ebooks/lookinside/10.1055/b-0034-55115
[4] Livingston G, Huntley J, Sommerlad A, Ames D, Ballard C, Banerjee S, Brayne C, Burns A, Cohen-Mansfield J, Cooper C, Costafreda SG, Dias A, Fox N, Gitlin LN, Howard R, Kales HC, Kivimäki M, Larson EB, Ogunniyi A, Orgeta V, Ritchie K, Rockwood K, Sampson EL, Samus Q, Schneider LS, Selbæk G, Teri L, Mukadam N. Dementia prevention, intervention, and care: 2020 report of the Lancet Commission. Lancet. 2020 Aug 8;396(10248):413446. doi: 10.1016/S0140-6736(20)30367-6. Epub 2020 Jul 30. PMID: 32738937; PMCID: PMC7392084.
[5] Arafa A, Teramoto M, Maeda S, Sakai Y, Nosaka S, Gao Q, Kawachi H, Kashima R, Matsumoto C, Kokubo Y. Playing a musical instrument and the risk of dementia among older adults: a systematic review and meta-analysis of prospective cohort studies. BMC Neurol. 2022 Oct 27;22(1):395. doi: 10.1186/s12883-022-02902-z. PMID: 36303117; PMCID: PMC9608922.

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