Viele Menschen verbringen heute geistig intensive, meist sitzende Arbeitstage. Nicht wenige verspüren danach das Verlangen sich zu bewegen. Für die einen tut es dann ein einfacher Spaziergang oder die Fahrt mit dem Rad nach Hause.
Andere schwören auf die positiven und leistungssteigernden Effekte von Frühsport. Nach einem ausgiebigen Lauf oder der Fahrt mit dem Rad zum Arbeitsplatz fühlen sie sich geistig belastbarer und emotional ausgeglichener.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rät zu dreimal wöchentlich 45 Minuten moderat-intensiver körperlicher Aktivität, um Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorzubeugen. Viel spricht dafür, dass dies auch für den Erhalt der mentalen Gesundheit gilt.
Tatsächlich ist Bewegung eines der fundamentalsten Prinzipien des menschlichen Seins und hat einen enormen Einfluss auf die Funktion und Struktur unseres Gehirns. Sport, Bewegung und körperliche Aktivität haben so auch eine psycho-hygienische Wirkung.
Wir zeigen hier drei grundlegende Effekte von Bewegung und körperlicher Aktivität für die mentale Gesundheit.
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Kurzfristiger Effekt von Sport
Bewegung kanalisiert Stress
Stresshormone, vor allem Adrenalin und Noradrenalin, haben uns tausende von Jahren das Leben gerettet. Denn durch sie werden zusätzliche körperliche Ressourcen mobilisiert. Der Herzschlag erhöht sich und Muskeln werden verstärkt mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Sei es, um ein Mammut zum Nahrungserwerb zu jagen oder um einem Säbelzahntiger nicht selbst zur Nahrung zu werden.
Diese Reaktion hat sich erhalten und so kommt es auch heute noch zu einer Ausschüttung dieser Hormone, wenn wir gestresst sind. Kampf oder Flucht wie in Urzeiten sind als Reaktion auf Stress aber in den seltensten Fällen gesellschaftlich angemessen.
Stress ist eigentlich nicht das Problem, Stress hatten wir Menschen immer schon. Die mangelnde Kompensation durch Bewegung in unserer heutigen Zeit ist das Problem. Bewegung und Sport bieten heute eine passende Möglichkeit, den Stress wieder abzubauen. Vielleicht haben Sie es selbst mal erlebt, dass sie das Gefühl hatten nach dem Sport „den Kopf mal wieder richtig freizuhaben“.
Aufmerksamkeits- und Konzentrationsfähigkeit steigen
In der Begegnung mit dem Säbelzahntiger vor 10.000 Jahren machte es wenig Sinn, über mögliche Handlungsalternativen nachzudenken. Die einzige Chance zu überleben, lag darin, das Denken auszuschalten und die Beine in die Hand zunehmen.
Wenn wir gestresst sind, kommt es vor allem in den Regionen, die für Kognition und Emotion zuständig sind, zu einer erhöhten Gehirnaktivität. Wenn wir uns hingegen intensiv bewegen, werden neuronale Ressourcen in Bereichen der Bewegungsplanung und -ausführung gebraucht.
Die Aktivität in den kognitiv-emotionalen Arealen nimmt ab (medizinisch Hypofrontalität genannt). Das Ergebnis ist, dass wir uns nach dem Sport wieder besser konzentrieren können. Es ist so, als hätten wir den überfüllten Konzentrations-Speicher geleert.
Das hat positive Auswirkungen für die schulische [1] und berufliche Leistungsfähigkeit [2]. Und ganz allgemein auch für das seelische Wohlbefinden. Eine etwas ausführlichere Geschichte zu Mammut und Säbelzahntiger findet sich hier.
Wer Sport getrieben oder körperlich hart gearbeitet hat, ist müde. Der Körper ist ausgelaugt und braucht Erholung. Denn kräftige Bewegung stärkt die Muskeln und diese Anpassung braucht Energie. Das Ergebnis ist meist ein gesunder, tiefer Schlaf. Und wer gut schläft, ist am kommenden Tag körperlich und geistig fitter.
Langfristiger Effekt von Sport
Geistige Entwicklung wird gefördert
Bewegungsabläufe muss man lernen – mitunter über Wochen, Monate, Jahre. Wer einmal ein Instrument gelernt hat, weiß, wie es ist: Am Anfang noch recht grobmotorisch, und viel Üben führt dazu, dass Bewegungen routiniert und flüssig werden. Die Nervenzellen haben gelernt, im richtigen Takt miteinander zu kommunizieren.
Dazu braucht es Neubildung von Zellverbindungen (Synaptogenese). Im zentralen Nervensystem wird umgebaut, bis alles richtig verschaltet ist – von der Muskelansteuerung und Balance bis zur Integration der Sinneswahrnehmung.
Ein besonderer Nebeneffekt: Intensive körperliche Aktivität führt zu Freisetzung von Hormonen, die auch zur Neubildung von Zellverbindungen in anderen Bereichen führen können [3]. Die geistige Entwicklung wird also generell gefördert. Das hat aber auch damit zu tun, dass körperliche Fitness die Grundlage gesellschaftlicher Teilhabe ist. Nur wer körperlich fit ist, traut sich auch zu, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
Körperliche Fitness ist die Grundlage für ein selbstbestimmtes und selbstständiges Leben, insbesondere im Alter. Und das tägliche Leben, die Begegnung mit Freunden, neue Impulse durch Reisen oder die Beschäftigung mit den Enkelkindern ist die beste Stimulation, die unser Gehirn bekommen kann.
Sport und Bewegung sind auch eine Grundlage mentaler und sozialer Gesundheit. Sie bieten einen ganzheitlichen Ansatz, gesund zu werden und gesund zu bleiben. Und zwar über die gesamte Lebensspanne – bei Kindern, Erwachsenen, berufstätigen Menschen und genauso bei einer zunehmend älter werdenden Bevölkerung.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat daher bereits 1948 Gesundheit als dreidimensionales Konstrukt von physischer, mentaler und sozialer Gesundheit definiert. Sport und Bewegung sind somit nicht als vergeudete Zeit zu betrachten, etwa im Rahmen des Schulunterrichts. Gerade die in der Bewegung erlebte sinnfreie Zeit ist Grundlage zur Verbesserung der schulischen und akademischen Leistungsfähigkeit.
Sport und Bewegung geben also Raum für die berufliche und private Produktivität und fördern Selbstvertrauen und Unabhängigkeit im Alter, was wiederum die Grundlage für ein erfülltes Leben und ganz konkret der Prävention von Demenzerkrankungen ist. Denn Bewegung ist wie oben beschrieben auch Dünger für unser Gehirn.
Sport als Zeitvertreib und zur Zerstreuung
Dass Sport, Bewegung und körperliche Aktivität eine positive Wirkung haben, hat sicherlich auch schon Winston Churchill empfunden. Fälschlicherweise wird ihm immer wieder der Ausspruch „Sport ist Mord“ in den Mund gelegt. Vermutlich stammt dieser aber aus der Zeit der Gladiatorenkämpfe im alten Rom.
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Was den wenigsten aber bekannt sein dürfte: Churchills Anwesen verfügte über umfangreiche Gartenanlagen, in denen er sich regelmäßig, sicherlich auch kontemplativ, lustwandelnd bewegte, um den Ausgleich vom politischen Tagesgeschäft zu suchen.
In seiner Jugend war Churchill sogar aktiver Sportler. Dass dies nicht als Sport wahrgenommen wurde, ist dem Zeitgeist zuzuschreiben. Sport zur Zeit Churchills war primär ein Privileg der Oberschicht, und Tennis, Golf, Rudern, Reiten und andere Disziplinen wurden als Zeitvertreib angesehen [4].
Das zeigt sich auch am Ursprung des Wortes Sport: Sport war ursprünglich nur Zerstreuung. Auf Latein heißt „zerstreuen“ disportare oder deportare. Noch im Frankreich des 11. bis 13. Jahrhunderts bedeutete desport auf Deutsch „Erholung“ oder „Zerstreuung“. Im Englischen wurden Freizeitaktivitäten kurz sport genannt. Die Deutschen machten dann im 16./17. Jahrhundert „Leibesübungen“ daraus.