Was machen schwere Krankheiten mit den Betroffenen und denen, die sie lieben? Unser Präsident Prof. Dr. Frank Erbguth stellt Bücher zu diesem Thema und einen Film zu den emotionalen Wirren der Pubertät vor.
Kluge Erzählung über ein zweites Leben nach einem geplatzten Aneurysma
Evelyn Roll: Pericallosa – eine deutsche Erinnerung
Droemer Knaur Verlag, München 2023, ISBN 9783426277980; gebunden, 432 Seiten, 26,00 EUR
Pericallosa-Aneurysma – so heißt eine bestimmte Aussackung an einem Hirngefäß. Das trägt man selten, aber dann oft unbemerkt in seinem Gehirn. Bis es platzt.
Eine solche Hirnblutung ist Evelyn Roll passiert, einer preisgekrönten Journalistin der Süddeutschen Zeitung, die auch eine Biografie über Angela Merkel verfasst hat.
Roll schildert den Vernichtungskopfschmerz beim Platzen des „Monsters“ in ihrem Gehirn, die rettende neurochirurgische Notoperation in der Berliner Charité, die anschließende Phase ihres Delirs und ihre Reha-Behandlung. Das Paradoxe: die Autorin hatte sich zuvor intensiv mit den Funktionen des Gehirns beschäftigt.
Verwoben mit der Bewältigung ihrer lebensbedrohlichen Erkrankung ist die „archäologische“ Aufarbeitung ihrer Familiengeschichte, in der die Autorin (Jahrgang 1952) einige verschüttete Geschehnisse und blinde Flecken freilegt und verarbeitet. Dabei wird viel über die Wunden der Nachkriegszeit erzählt.
Sprachlich perfekt gelingt der Autorin eine fesselnde und nachdenklich machende Erzählung.
Neurologisch erkrankt? Wir beraten Sie: ☎️ 030 531437936 (Mo 14-18, Mi 10-14 Uhr, kostenfrei) oder online.
Berührender Roman über Demenz
Katrin Seyfert: Lückenleben. Mein Mann, der Alzheimer, die Konventionen und ich.
Deutsche Verlags-Anstalt (DVA), München 2024, ISBN 9783421070265, gebunden, 256 Seiten, 22,00 EUR
Mit Anfang 50 erhält der Mann der Autorin und Vater von fünf Kindern die Diagnose „Alzheimer-Demenz“. Nach 5 Jahren stirbt er. Das Buch erzählt von den Zuschreibungen und Erwartungen, mit denen die pflegende Ehefrau, später Witwe, konfrontiert ist.
Das erzählt Katrin Seyfert offen und ehrlich und berührt dabei die existentiellen Fragen um Würde, Krankheit, Tod und Verlust. Ihre Texte sind eine kluge und feinfühlige Auseinandersetzung mit diesen Themen – auch mit Konventionen und Tabus, mit denen sie konfrontiert ist.
Das Buch ist mehr als eine bloße Krankheitsbeschreibung durch eine Ehefrau, sondern eine berührende und bereichernde Reflexion, die über den Einzelfall hinaus reicht.
Film: Pubertät – das Gehirn als Großbaustelle
Alles steht kopf 2
96 Minuten; Pixar-Disney Computer-Animationsfilm
Die Werkstatt „Pixar“ – Top-Adresse für hervorragend gemachte Animationsfilme – hatte bereits 2015 den überzeugenden ersten Teil von „Alles steht kopf“ herausgebracht und dafür einen Oscar erhalten.
Im Gehirn des kleinen Mädchens Riley agieren fünf lustig animierte Figuren, die die Emotionen des Mädchens personifizieren: Freude (gelb), Kummer (blau), Angst (lila), Wut (rot) und Ekel (grün). Sie führen Riley mit einem Schaltpult durch den Alltag und es gibt auch viel Gerangel, wer gerade den Ton angibt.
Im ersten Teil leuchtet am Ende eine rote Warnleuchte auf, mit der Aufschrift Pubertät. Dort macht jetzt Teil zwei weiter. Als Sinnbild für die Pubertät verwandelt ein Bauarbeitertrupp das gesamte Hirn mit Vorschlaghämmern und Kettensägen in eine Schutthalde.
Das ist aus neurologischer Sicht durchaus angemessen, weil in der Pubertät etwa zwei Drittel der Nervenbahnverbindungen im Gehirn gekappt und umorganisiert werden.
In Rileys Gehirn tauchen jetzt neue Emotionen auf: Am witzigsten ist die violette „Null-Bock“-Figur; aber auch die anderen Neuzugänge Neid, Peinlichkeit und Zweifel legen los und möchten die alten Gefühle verdrängen.
Dem Film gelingt der Spagat aus neurologischer Aufklärung und Unterhaltung mit Leichtigkeit und Witz. Aufklärung über das Gehirn auch mal anders!