In den menschlichen Körper hineinschauen – das ist seit jeher ein Wunsch der Medizin. Seit Ende des 19. Jahrhunderts helfen dabei Röntgenstrahlen. Für die Untersuchung des Gehirns taugen sie aber nicht. Dafür wurde vor 100 Jahren das EEG erfunden.
Am 6. Juli 1924 gelang Prof. Hans Berger, Nervenarzt an der Universitätsklinik Jena, erstmals ein Blick durch den Schädel auf die Funktion des menschlichen Gehirns. Im Alter von 51 Jahren hatte er herausgefunden, wie man Ströme im Hirn messen und als Wellen aufzeichnen kann (medizinisch gesprochen „ableitet“).
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Geboren war die Technik des Elektro-Enkephalogramms, wie Berger sie nannte, abgeleitet vom griechischen Wort für „Gehirn“ und „Aufzeichnung“. Heute heißt sie gering verändert Elektro-Enzephalo-Graphie, kurz EEG.
Die erste Ableitung wurde noch bei einem Patienten durchgeführt, dessen Schädelknochen bei einer Gehirnoperation entfernt worden war. So konnte man die Ableit-Elektroden direkter über dem Gehirn anbringen.
Alpha, Beta, Gamma und Delta
Kurze Zeit später gelangen auch Ableitungen der Hirnströme durch die Schädeldecke hindurch. Die unterschiedlichen Wellenfrequenzen, benannt mit den griechischen Buchstaben Alpha, Beta, Gamma und Delta, zeigten jeweils unterschiedliche Erregungszustände der abgeleiteten Hirnregion.
Damit konnten krankhafte Strukturen im Gehirn wie Tumoren entdeckt werden oder die Wellenveränderungen bei Bewusstseinsstörungen und epileptischen Anfällen.
Die Entdeckung Bergers wurde zunächst eher skeptisch aufgenommen. Jahre später aber begann der Siegeszug des EEG. Lügendetektor-Anwendungen in den 1950er Jahren nutzten die Technik.
Bis heute Standard in der neurologischen Forschung
Auch in der neurologischen Diagnostik etablierten EEG-Ableitungen sich bald. Trotz moderner Bildgebungsverfahren wie der Magnetresonanz-Tomografie (MRT) gehören sie heute nach wie vor zum Standard, auch in der neurologischen Forschung.
Durch eine Weiterentwicklung des EEG lässt sich neben Hirnströmen auch die Leit- und Funktionsfähigkeit von Nervenbahnen untersuchen. Dazu misst man mit dem EEG, wie schnell Sinnesreize vom Auge, Ohr oder der Haut im Gehirn ankommen (medizinisch „evozierte Potenziale“ genannt).
Während die Mess-Apparatur von Hans Berger noch die Größe einer Kommode hatte, sind moderne EEG-Systeme so groß wie ein Notebook und mobil.
Statt der wenigen Elektroden der ersten Geräte kann man heute bis zu 128 Kanäle ableiten und mittels Software schnell die Signalmuster auswerten.
Anwendungen mithilfe von KI
Durch die Datenanalyse mit künstlicher Intelligenz (KI) sind faszinierende Anwendungen der EEG-Technologie möglich. Dazu gehören die Vorhersage von Epilepsien, die Analyse von Gehirnsystem-Erkrankungen oder die Steuerung von Prothesen durch Brain-Computer-Interfaces (BCI).
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Bei BCI-Anwendungen werden durch ausgelesene elektrische Gehirnsignale computerbasierte Prozesse gesteuert. Darauf beruht auch die Technologie der Gehirnimplantate-Firma Neuralink von Elon Musk, dessen Implantate Hirnströme über 1024 Ableit-Elektroden auslesen.
Schatten auf der Biographie Hans Bergers
Trotz der genialen Entdeckung Hans Bergers vor 100 Jahren fällt ein Schatten auf seine Biografie: Als SS-Mitglied unterstützte er die rassenpolitischen Ziele des Nationalsozialismus und verstieß unter anderem durch Beteiligung an Zwangssterilisationen gegen die ärztliche Ethik.